Bitte dunkelblau und grün, die Haare kurz und zuerst Dinosaurier und dann Superhelden.

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Menschen, die Kinder haben, wissen es: Die Aussage "Meine Eltern sind an allem schuld" verliert mit Geburt des eigenen Kindes schlagartig an Reiz. Bis dahin hält man sich für emanzipiert, wähnt sich gefeit vor Zeitreisen zurück in die 50er-Jahre (ha ha, man hatte von Corona noch keine Ahnung!), man lebt schließlich gleichberechtigt, trennt das Werk nicht vom Autor, liest die Rosa-Hellblau-Falle auf Twitter, teilt ironische Memes von Man who has it all und gendert (falls hier nicht, hat man es mir rausgekürzt).

Dann hörte ich am Amt beim Melden des Säuglings plötzlich mehrfach das Wort "unehelich". Und das war – das wusste ich zum Glück noch nicht – eine gute Vorbereitung auf das, was kam. Immerhin muss man anfangs Streitgespräche noch nicht mit dem Kind führen, sondern mit Eltern, die meinen, für Gespräche über die Herstellung zuckerfreier Kuchen könnte man eine Aufmerksamkeitsspanne von mehr als einer Minute aufbringen oder auf "Die ersten drei Jahre ist der beste Ort für das Kind zu Hause bei der Mutter!" nicht nur zärtlich "Altersarmut!" flüstern.

Buben- und Mädchenabteilung

Dann kommt der Moment, in dem das geliebte Kind plötzlich eigene Präferenzen kundtun kann, in dem es nicht mehr putzig gestreift gekleidet sein will, mit Ankern und Babytieren. Nützt es etwas, dem Kind zu erklären, dass das Konzept "Bubenabteilung" und "Mädchenabteilung" sinnlos ist und es sich alles aussuchen kann, auch bitte gern in eng und oder in Rosa und mit viel Glitzer?

Wenn die Welt um es herum doch nach Geschlecht zweigeteilt ist? Nein, es nützt nichts, bitte dunkelblau und grün, die Haare kurz und zuerst Dinosaurier und dann Superhelden. Man ist heilfroh, seit 2017 immerhin auch Wonder Woman zu haben. Ja, gern Glitzernagellack in allen Farben, im Urlaub – und daheim, wenn es andere Kinder nicht aufziehen deswegen.

Kein Kinderspiel

So muss man plötzlich in der Lage sein, die eigene Weltsicht argumentieren zu können, auf dem Verständnislevel eines Kleinkindes. Und das ist gar keine so schlechte Schule. Denn man muss dabei ehrlich bleiben, denn ohne Widerstand lässt sich auch als Kleinkind das Patriarchat nicht stürzen, das spürt es genau. Man erzählt dem Kind, dass man selbst oft trottelig ist, jedes langhaarige Kind zuerst einmal für ein Mädchen hält.

Denn das wird als Erstes klar: Bei einem kleinen Kind kommt man mit "Do as I say, not as I do" nicht durch. Im Faktenchecken sind Fünfjährige top. In Gertraud Klemms Roman Aberland gibt es eine Stelle, wo ein kleiner Bub sagt, "Geschirrspüler einräumen, das machen nur Frauen". Seither passe ich noch mehr wie eine Haftelmacherin darauf auf, was das Kind vorgelebt bekommt.

Also sitzt man dann gemeinsam auf der Couch und diskutiert bei Kinderfilmen und -serien. Ist Vaiana aus dem Film cooler oder Halbgott Maui? Was soll das überhaupt sein, "cool", und wer bestimmt das? Wieso sind in dieser Serie nur Buben? Und wieso müssen hier die Frauen immer streng sein und aufräumen? Warum gibt es Kinder, die es doof finden, wenn ein kleiner Bub Frozen und Filmheldin Elsa mag? Woher kommt das?

Sich die Welt ausdenken

"Hoffentlich bringt dich nie jemand um", sagte das Kind einmal, als wir eine Installation über die in Österreich von Männern ermordeten Frauen sahen. "So ein Mann will ich nie sein, warum machen die das?" "Weil sie glauben, Frauen sind wie ein Spielzeug, das ihnen gehört und das sie kaputtmachen können", versuchte ich zu erklären. Sind diese Gespräche zu früh? Kann der kleine Mensch das schon verstehen? Aber wie soll er es später verstehen, wenn ich ihm jetzt schon eine Welt vorgaukle, wie sie nicht ist?

"Wenn es den lieben Gott nicht gibt, sind alle Menschen tot", erklärte mir der Sohn einmal auf dem Heimweg vom Kindergarten. Ich brauchte eine Weile, bis mir eine kindertaugliche Antwort einfiel: "Vielleicht ist es umgekehrt: Wenn alle Menschen tot sind, kann sich niemand einen Gott ausdenken." Denn so ist es. Wir denken uns die Welt täglich aus.

Letztens wurde mir erklärt, das Kind sei verlobt, man habe sich schließlich schon sechsmal gebusselt. Auf meine Anmerkung, dass man deshalb noch lange nicht heiraten muss, meinte es mit Vehemenz: "Aber du hast gesagt, die Kinder dürfen leben, wie sie wollen, und müssen es nicht wie die Eltern machen!" Manchmal, kurz, denke ich, dass ich nicht alles falsch gemacht habe. (Julia Pühringer, RONDO, 16.5.2020)