Unterschiedliche Emotionen sind Teil jeder Transformation.

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Die letzten Wochen waren eine Zeit, die in erster Linie von Angst, Wut und Trauer getrieben war. Angst um den Job, um die Zukunft, um die eigene wirtschaftliche Existenz. Wut über das Virus, über die Maßnahmen der Regierung, über die geschäftlichen Einbrüche. Und Traurigkeit über geplatzte Projekte, über den finanziellen Verlust, über ein Ende der bisherigen Konjunktur-Euphorie.

Bedenkt man, dass wir in der Arbeitspsychologie von den vier Basisgefühlen Angst, Wut, Trauer und Freude sprechen, so ist ein gesunder Zugang zu drei Vierteln unseres emotionalen Spektrums – ohne dabei in irgendeinen Zynismus verfallen zu wollen – kein schlechter Schnitt. Zum Vergleich: Vor Corona lag der Zugang zu den Gefühlen im Business-Alltag in vielen Firmen und Sparten bei gefühlten null Prozent. Und das ist eindeutig zu wenig.

Ich höre Sie schon denken: "Na toll, jetzt will uns die Arbeitspsychologie Angst, Wut und Trauer auch noch als wertvolle Ressourcen verkaufen!" Ja, so ist es. Denn im Gegensatz zum allgemeinen Verständnis sehe ich als Psychologin darin keine negativen Schattenemotionen, sondern ganz wertfrei unterschiedliche Gefühlszustände mit ebenso unterschiedlichen – und ja, auch produktiven – Facetten, die man mit ein bisschen Know-how und etwas Übung an die Oberfläche befördern kann. Ich bezeichne das als "Grammatik der Gefühle", und wie in jeder Sprache kann man auch diese Spielregeln erlernen.

Konstruktives Emotionsmanagement

Angst ist ein Zeichen für Sensibilität und zwingt uns zu Vorsicht und Achtsamkeit. Wut sorgt für Distanz und Unabhängigkeit und zeigt unsere Grenzen auf. Traurigkeit ist ein Beziehungsgefühl und zeugt von einer gewissen Nähe, Tiefe und Bedürftigkeit. Und hinter dem Freudegefühl verbergen sich Neugier, Offenheit und manchmal auch Leichtsinnigkeit. Alles wertvolle Werkzeuge, die im Berufsalltag mit der nötigen Kenntnis sehr bewusst eingesetzt werden können. Im aktuellen Remote-Modus ist ein gutes, konstruktives Emotionsmanagement wichtiger denn je.

In einer Zeit wie Corona, in der die materiellen Werte eines Unternehmens wie etwa das Bürogebäude, die Lobby mit dem Logo über dem Empfangstresen, das beeindruckende Konferenzzimmer im letzten Stock, die High-Tech-Kaffeemaschine mit den besten Bohnen der Stadt und die tägliche Obstkiste vom Biobauern aus der Region von der Bildfläche verschwunden sind, empfehle ich allen Führungskräften, sich in den immateriellen Werten zu üben und in Videokonferenzen ganz bewusst auch die Gefühle und Befindlichkeiten ihrer Mitarbeiter anzusprechen und auszuhalten. Die immateriellen Ressourcen sind derzeit alles, was wir haben.

Die emotionalen Phasen der Transformation

Ich denke dieser Tage oft an Elisabeth Kübler-Ross. Die schweizerisch-amerikanische Psychiaterin hat ihr Leben der Tod- und Trauerforschung gewidmet und fand heraus, dass Menschen bei Transformationen emotionale Phasen durchlaufen, die sie in Form einer Veränderungskurve festgehalten hat. Im Grunde handelt es sich um eine verzerrte Sinuskurve mit mehreren Steigungen und Amplituden namens Schock, Verneinung, Widerstand, Anpassung und Commitment. Den tiefsten Punkt bildet das sogenannte "Tal der Tränen". Irgendwann kommt die Leichtigkeit. Die Kübler-Ross'sche Kurve wird – mit entsprechenden Adaptierungen – auch für Change-Prozesse im Business-Kontext verwendet. Und das sogar sehr erfolgreich.

Mit Bezug auf die Erkenntnisse aus der Arbeitswissenschaft darf ich Ihnen versprechen: Der Weg durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Emotionen zahlt sich aus. Wenn der CEO es schafft, sich selbst (Selbstregulation) und sein Team (Führungsqualität) durch den natürlichen Zyklus aus erstens Angst, zweitens Wut und drittens Trauer konstruktiv zu führen, steht der vierten Phase nichts mehr im Weg: Am Ende winkt echte, authentische Freude. Und ja, auch der Freude wird man im Unternehmen Raum geben müssen. (Bettina Wegleiter, 7.5.2020)