Sehr offen und deshalb auch um stritten: die Autorin Rachel Cusk.

Foto: Suhrkamp Verlag

Mit Outline, Transit und Kudos hat Rachel Cusk in den vergangenen Jahren auch im deutschsprachigen Raum Aufmerksamkeit erlangt. Die Werke sind scharf im Denken und klar formuliert. Warum ihre Bücher Cusk zwischenzeitlich den Ruf als meistgehasste Frau Großbritanniens eingetragen haben, lässt sich jetzt nachlesen.

Mit Lebenswerk – Über das Mutterwerden und Danach – Über Ehe und Trennung sind nun binnen Monaten die beiden Bände auf Deutsch erschienen, in denen Cusk ihre Schwangerschaft (2001) sowie die Trennung von ihrem ersten Mann (2012) nachvollzieht. Sie sei selbstsüchtig, eine schlechte Mutter und hasse Kinder, lauteten die Kommentare des britischen Publikums damals.

Cusk nimmt sich ja auch kein Blatt vor den Mund. Das Kind in ihrem Bauch und später in ihrem Haus empfindet sie in Lebenswerk als Bedrohung ihres Selbst, als Eindringling und Tyrann. Daheim zu bleiben ist keine Option für sie. Cusk und ihr Mann tauschen also die Rollen. Sie gibt ihr "exklusives, primitives Mutterrecht auf die Kinder" auf, dafür er den Job als Anwalt und wird Hausmann.

"Höhepunkt" als Enttäuschung

Danach setzt elf Jahre später ein und rekapituliert das Scheitern des vermeintlich gleichberechtigten Arrangements. "In gewisser Hinsicht lebte ich auf dem Höhepunkt feministischer Möglichkeiten", stellt Cusk fest und ist zugleich verärgert. "Worin genau bestand die Hilfe, wenn ein Mann seine eigenen Kinder betreute oder eine Mahlzeit kochte, die er selbst essen würde?" Obendrein neidet sie ihm das Prestige, das er dafür als Kompensation erwirbt.

In den zwischen Memoir und Essays pendelnden Büchern grübelt Cusk ihren Empfindungen hinterher. "Letztendlich ist Streit nur Notwehr in Sachen Selbst definition", schreibt sie etwa. Das moderne Familienleben mit seiner "unerbittlichen Fröhlichkeit" scheint ihr "das menschliche Bedürfnis nach Krieg" nicht anzuerkennen. Trotzdem empfindet sie sich gegenüber Paaren als Verliererin, kommt sich vor wie ein Wohnwagen zwischen Häusern.

Cusk bringt nicht feministische Theorien in Stellung, sie legt sich eher mit solchen Dogmen an, spricht von "gepanschten männlichen Werten", die ihr beigebracht worden seien. Es sind klischeehafte Bilder, die Cusk im Kopf hat und gegen die sie rebelliert, die aber ebenso oft auch als Ideal fungieren, wenn sie in den Blumenladen als Hort beschützter Weiblichkeit geht oder für die Kinder mühsam Normalität herzustellen versucht. Denn ist die Ehe als schützende Form kaputt, tritt an ihre Stelle erst ein Chaos. "Ist es männliche Aufmerksamkeit, die ich suche, oder männliche Autorität?", fragt sie sich beim Psychoanalytiker und hat mäßig gute Dates oder holt sich einen Mitbewohner ins zu groß gewordene Haus.

Von Unterwerfung bis Romanze

Cusk kreist um Aspekte von Unterwerfung und Romanze, sucht Vergleichswerte. Sie erzählt von Klytaimnestra, die in der Orestie während Agamemnons Abwesenheit die Geschäfte geführt und so das Konzept von männlich und weiblich als Lüge enttarnt habe, von ihrer bis zum Tod offenbar mäßig glücklich aber dennoch eisern verheirateten Tante und dass sie Freundinnen ihrer Tochter nicht mag, da in deren Gegenwart Eigenarten des Kindes verschwänden.

Seit der Erstveröffentlichung auf Englisch hat der Mutterdiskurs Fahrt aufgenommen, etwa mit Maggie Nelsons Die Argonauten, Sheila Hetis Mutterschaft oder der Debatte zu "regretting motherhood". Ergibt es also Sinn, nun diese Bücher noch zu übersetzen? Schon, leben sie doch nicht von Antworten, sondern vom Hadern, Zweifeln und einer Ambivalenz, die nicht klar auf einen Nenner zu bringen ist, die aber ein Unbehagen ausdrückt. Wenn Cusk hinsichtlich des Endes ihrer Ehe feststellt: "Ich schaue mich um und sehe meine Familie wie durch eine millionenfach gesplitterte Glasscheibe", weiß man nicht, ist das abgedroschen oder akkurat? Vielleicht ist es beides. Sympathisch jedenfalls will Cusk nicht sein. Das dient der Debatte. (Michael Wurmitzer, 7.5.2020)