Das Geschwisterpaar Pfeiffer hatte in einem Wiener Pensionistenwohnheim nicht das Gefühl, auf viel verzichten zu müssen.

Foto: Robert Newald

Für Hans und Greta Pfeiffer hat sich mit dem 4. Mai, dem Tag, an dem das Besuchsverbot im Altersheim aufgeweicht wurde, eigentlich nicht so viel verändert. Das Zwillingspaar – er ist seit Oktober, sie seit zehn Jahren im Pensionistenwohnhaus Penzing – sind die letzten beiden Überlebenden in der Familie. Besuch erwarten sie in den nächsten Tagen nicht.

Überhaupt ist der Ansturm nach acht Wochen Besuchsverbot in den Alters- und Pflegeheimen ausgeblieben. Für Monika Honeder, Direktorin des Hauses Penzing, ein Zeichen dafür, dass man während des Lockdowns richtig gehandelt hatte, offenbar habe es an wenig gefehlt. Und: Man habe gleichzeitig verhindern können, dass das Virus ins Haus gelangte. In acht von dreißig der Häuser zum Leben ist das nicht gelungen, fünf davon sind mittlerweile wieder negativ, heißt es vom Betreiber, dem Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser.

Es sei in Österreich gut gelungen, die ältere Generation zu schützen, sagt auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Eine Häufung von Fällen in Alters- und Pflegeheimen hätte es dennoch gegeben. Umso wichtiger sei es nun, so Anschober, die "stabile Situation zu bewahren", Kontakte sollen auf eine "kontrollierte Art und Weise" ermöglicht werden – und früher als bisher gedacht: In der Branche gingen viele davon aus, dass erst im Herbst wieder so etwas wie Normalität in die Heime einkehren würde. Immerhin waren, auch das sagt Anschober, 88 Prozent der mit Covid-19 verstorbenen über 70 Jahre alt. Im privaten Bereich appelliert der Gesundheitsminister daher an die Vernunft, so sollen etwa auch beim Muttertagsausflug stark frequentierte Plätze gemieden werden. Für Heime sprach er Empfehlungen aus, die diese nun umzusetzen versuchen.

Vornehmlich solle man sich im Garten treffen, sagt Gesundheitsminister Anschober.
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Piktogramme geben die Regeln vor: Umarmungen sind tabu.
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Gegen Plexiglas, fürs Plaudern

Im Haus Penzing sieht die Umsetzung so aus: Der große Speisesaal, an dem sich normalerweise, vor Ausbruch der Pandemie, die Bewohnerinnen und Bewohner zum Frühstück und Mittagessen getroffen haben, ist nun, wo jede Mahlzeit in den einzelnen Wohneinheiten serviert wird, ein Begegnungsraum. Sogenannte Plauder-Platzln markieren, wo sich Besucher und Bewohner treffen dürfen, auch draußen im Garten sind solche mit Schildern markiert.

Ihr gehe es gut hier, sagt Annemarie Litschauer, in einen Holzstuhl zurückgelehnt, die Beine ausgestreckt. Sie lese jeden Tag Zeitung, und "wenn ich lese, wie es den Jungen jetzt geht, mit Kindern in der Wohnung ohne Garten, das Geld fällt weg", dann bedrücke sie das viel mehr, sagt sie. Auf dem Tisch vor ihr zeigen Piktogramme auf einer Karte vor, was nun zu beachten ist, wenn Besuch kommt: Händeschütteln mit Handschuhen ist okay, Umarmungen tabu. Abstand und Hygiene sind obligatorisch.

"Wir haben uns gegen Plexiglas entschieden", sagt Simon Bluma von der Geschäftsführung der Häuser zum Leben, dies würde Beteiligte in eine unnatürliche Situation bringen. Stattdessen müssen Besucher sich telefonisch für die bis zu 30 bis 45 Minuten lang dauernden Besuche anmelden. Am Eingang werde registriert, Fieber gemessen sowie ein kurzer Gesundheitsfragebogen ausgefüllt. Mund-Nasen-Schutz würde man überall dort einsetzen "wo es sinnvoll ist", so Bluma.

Gartenzaun und Skype

War der Lockdown für die Älteren etwa gar nicht so schlimm, wie sich manche Jüngeren vorstellten? Litschauer und ihren Mann Erich hatte das Besuchsverbot nicht so hart getroffen, sagt sie. "Wir haben einen Laptop, mit dem sitzen wir nun abends im Bett und machen Videotelefonate mit den Kindern". Auch die Pfeiffers halten via PC und Handy Kontakt mit Freunden. Bewohnerkollege Paul Fila wiederum erzählt davon, wie er über den Gartenzaun mit Bekannten sprach oder man durch eine Fensterscheibe getrennt miteinander telefonierte. Morgen wird zum ersten Mal wieder ein Freund zu Fila vorbeikommen.

Demente Menschen jedoch konnten und können oft nicht auf Skype, Zoom oder den Gartenzaun zurückgreifen. Andere Heimbewohner fühlten sich damals eingesperrt, als Menschen zweiter Klasse behandelt, als die vier Ausnahmen für alle anderen, nicht aber für sie galten. Auch Bewohnervertreter und die Volksanwaltschaft kritisierten, dass Bewohner mancher Heime ohne behördliche Anordnung de facto isoliert wurden. Direktorin Honeder betont, man habe die Leute auch während der Krise spazieren gehen lassen. Wer zurückkam, musste sich 14 Tage lang Symptomkontrollen unterziehen. "Und wir haben sie wissen lassen, wie hoch das Risiko ist. Was dieser Moment der Freiheit für die 300 anderen Bewohner heißen kann", sagt sie.

Die fünf am Plauder-Platzl wiederum wiederholen wie ein Mantra: "Wir haben hier eh alles". Selbst in Normalzeiten gebe es für viele kaum die Notwendigkeit rausgehen. Nur auf eine Umarmung freue sie sich, sagt Annemarie Litschauer. (Gabriele Scherndl, Oona Kroisleitner, 7.5.2020)