SPÖ-Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner.

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Die Corona-Krise hat nicht alles verändert. Zwar musste die SPÖ Auszählung und Präsentation ihrer Mitgliederbefragung wegen der Virusbekämpfung um einen Monat verschieben, doch das Ergebnis ist so ausgefallen, wie Skeptiker von Anfang an befürchteten. Eine eindeutige Handlungsanleitung geben die 71 Prozent an Zustimmung, die Parteichefin Pamela Rendi-Wagner einfuhr, nicht her. Die Sozialdemokraten sind kein bisschen klüger als zuvor.

Das Resultat bietet der Erfinderin der Aktion plausible Argumente, um einen Erfolg zu verkaufen. Sie kann für sich in Anspruch nehmen, an der stillen Basis über mehr Rückhalt zu verfügen, als ihre Kritiker suggerieren. Eine Mehrheit in dieser Dimension ist weit weg von einer knappen Angelegenheit – und nordkoreanische Verhältnisse mit verordneten Huldigungsraten von 100 Prozent können ja nicht das Wunschszenario einer lebhaft demokratischen Partei sein.

Die Beteiligung von 41 Prozent stellt für rote Mitgliederbefragungen einen einsamen Rekord dar, mit dem kaum jemand gerechnet hat. Sicher, die Mehrheit des Parteivolks hat nicht mitgemacht – aber dass die SPÖ nun einmal ein träger Koloss mit vielen alten, schwer via Internet erreichbaren Genossen ist, kann man einer seit erst eineinhalb Jahren amtierenden Vorsitzenden nicht vorwerfen. Außerdem hatten die Leute in der Corona-Krise eigentlich andere Sorgen, als sich mit Parteikram zu beschäftigen.

Rendi-Wagner freut sich über 71,4 Prozent Zustimmung: "Vertrauen ist die wichtigste Währung in der Politik"
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Unzufriedene Funktionäre

Allerdings können auch Rendi-Wagners Gegner Gründe herauslesen, sich bestärkt zu fühlen. Fast 30 Prozent Ablehnung, noch dazu ohne Gegenkandidaten, sind für eine traditionell derart disziplinierte Partei mit obrigkeitstreuer Basis ein beispielloses Misstrauensvotum; bei Parteitagen galten in der Vergangenheit bereits Abstimmungsergebnisse knapp unter 90 Prozent als Ohrfeige. Außerdem schreiten bei Nationalratswahlen bekanntlich nicht nur SPÖ-Mitglieder zu den Urnen. In Umfragen liegen die Sozialdemokraten mittlerweile unter 20 Prozent: Was ist da der Zuspruch von 46.579 Genossen – nicht einmal ein Prozent der Wahlberechtigten – schon wert?

Es ist kaum zu erwarten, dass die vielen unzufriedenen Funktionäre ihre Kritik schlagartig herunterschlucken. Wenn sich Rendi-Wagner nun auf harmonischere Zeiten einstellen darf, dann liegt das weniger am Ergebnis vom Mittwoch als an strategischen Bedenken. Eine Personaldebatte in der Krise könnte die SPÖ als Chaostruppe dastehen lassen und den Anlauf für die Wien-Wahl im Herbst stören, lautet die in der Partei verbreitete Befürchtung. Außerdem bietet sich in der schwierigen Lage wieder einmal kaum ein Nachfolger an.

Diese Atempause hätte Rendi-Wagner auch billiger haben können als mit einer Befragung, "die in der Sozialdemokratie niemand wollte" (der burgenländische Landeschef Hans Peter Doskozil im ORF-Report) und viele Mitstreiter verärgerte. Schon vor ihrem vermeintlichen Coup hatte die mächtige Wiener SPÖ die Parole ausgegeben, bis zur Wahl im Herbst stillzuhalten.

Rendi-Wagner steht nun vor ihrer letzten Chance, das Ruder herumzureißen, für sich und die Partei. Die Themenlage – Arbeitslosigkeit, soziale Nöte – sollte der SPÖ entgegenkommen. Doch schon einmal, nach der Finanzkrise, haben die Sozialdemokraten eine ähnliche Gelegenheit ausgelassen. Passiert dies noch einmal, droht nichts Geringeres als der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. (Gerald John, 6.5.2020)