STANDARD: Wann geht der Fahrschulbetrieb in Österreich wieder los?

Alexander Seger: Wir haben am 30. April um 22.15 Uhr am Server der Bundesgesetzblätter gesehen, dass die Fahrschulen in der Letztfassung der "Lockerungsverordnug" enthalten sind – vorher waren wir einmal bei der Anfang-Mai-Branchenliste dabei, dann wieder nicht. Persönlich hätte ich mit der Mitte-Mai-Tranche, gemeinsam mit den Schulen, gerechnet. Unsere Fachvertretung in der Wirtschaftskammer hat sich da richtig ins Zeug gelegt, denn mit den gebetsmühlenartig durch das Kanzleramts-Plexiglas kommunizierten Eckdaten wäre eine Öffnung der Fahrschulen nicht umsetzbar gewesen. 20 Quadratmeter pro Kunde im Lehrsaal geht nicht, auch bei zehn Quadratmetern ist der Kurs nicht wirtschaftlich, und der Meter-Abstand zwischen Fahrer und Beifahrer im Auto ist sowieso ein Ding der Unmöglichkeit. So breite Autos gibt es nicht. Ob wir aufsperren dürfen – und was wir hinter der offenen Tür dann anbieten können –, war daher bis zum Schluss Verhandlungssache und ungewiss. Planungssicherheit sieht anders aus. Am Feiertag und am Wochenende haben wir daher versucht, möglichst viele Kundinnen und Kunden per Telefon zu erreichen, seit 4. Mai haben wir wieder offen. Große Freude. Gutes Gefühl.

Alexander Seger (52) ist Fahrschulbesitzer in Mödling. Am 4. Mai hat er der Kursbetrieb wiederaufgenommen.
Foto: Alexander Seger

STANDARD: Mit welchen Kursen startet ihr? Was hat jetzt Vorrang?

Seger: In erster Linie versuchen wir die Zwischenausbildungen beim privaten Übungstaferl (L, L17) einzuplanen, damit die ihre nächsten Etappen erledigen können. Außerdem kümmern wir uns um jene Mehrphasen-Ausbildungen, die schon richtig dringend zu absolvieren sind. Dann geht es darum, die ganzen abgesagten Fahrstunden neu einzuplanen und mit den neu eingeplanten Theoriekursen abzugleichen – wir wollen ja im Theoriekurs Inhalt besprechen, einzelne Fahrmanöver erklären – wann ist wo welcher Kontrollblick warum notwendig – und das dann in der Praxis üben. Das ist ein bisserl mehr Aufwand als einfach nur Namen in ein Stundenraster zu gießen und so lange zu schütteln, bis keine Lücken mehr sind. Außerdem haben wir natürlich über den ganzen Winter schon Motorradstunden ins Frühjahr eingebucht und auf Prüfungstermine hinoptimiert, die auch gecancelt wurden. Für uns wäre eine Woche Planungsvorlauf schon sehr, sehr hilfreich gewesen. Aber das ist auch Raunzen auf hohem Niveau.

STANDARD: Welche Neuerungen für die Kursteilnehmer wird es geben?

Seger: Nach dem Betreten der Fahrschule Hände waschen oder desinfizieren, Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz tragen – das sind große Umstellungen im Vergleich zum Februar, aber nix gravierend Neues im Vergleich zu dem, was seit Anfang der Karwoche in jedem Supermarkt gilt. Im Unterschied zur Schule gilt in Fahrschulen allerdings auch im "Klassenzimmer" das Vermummungsgebot. Moped- und Motorradfahrschüler müssen die eigene Schutzkleidung mitbringen. Das Verleihen von Sturzhelmen spielt es aus hygienischen Gründen derzeit leider nicht.

STANDARD: Wann können die ersten Prüfungen stattfinden?

Seger: Theoretisch jederzeit, aber für die praktische Umsetzung der Ministeriumsvorgaben sind die neun Ämter der Landeregierung zuständig. Freilich wäre ein einheitlicher Prüfungsstart in ganz Österreich wünschenswert, aber je nach behördlichem Engagement wird das unterschiedlich schnell gehen. Theorieprüfungen sind zudem viel leichter zu organisieren als praktische Prüfungstermine. Ob der Enns haben die ersten Fahrschulen schon diese Woche eine Theorieprüfung, in Niederösterreich gibt es aus heutiger Sicht frühestens ab dem 18. Mai Prüfungstermine in Theorie und Praxis.

Auch in den Fahrschulen gilt ein besonderes Maß für den Sicherheitsabstand – zumindest in der Theorieausbildung.
Foto: Alexander Seger

STANDARD: Was passiert mit Teilnehmern, die ihre Führerscheinausbildung unterbrechen mussten? Setzen die einfach fort, oder müssen die von vorn anfangen? Gibt es Änderungen, was diverse Fristen angeht?

Seger: Bei laufenden, nur wegen Sars-CoV-2 unterbrochenen Ausbildungen ist das simpel, die machen einfach weiter. Erst wenn man gewaltige Lücken von 18 Monaten oder mehr aufreißt, verfallen die zuvor absolvierten Ausbildungsteile. Gleichzeitig mit der Einschränkung der Freizeitgestaltung im öffentlichen Raum durch den Lockdown des Landes wurden auch diese Führerscheinfristen quasi "eingefroren" – falls seit 13. März 2020 eine Ausbildung, ein Prüfungsteil, ein Arztgutachten oder Ähnliches abgelaufen wäre, gilt das mit dem 4. Covid-19-Gesetz auf jeden Fall bis 31. Mai weiter. Mit guten Argumenten – "Ich wurde zur Miliz eingezogen", "Ich saß auf einer Kaffee-Kooperative im brasilianischen Regenwald fest und hatte keine Möglichkeit, die Heimreise zur österreichischen Scholle anzutreten" –, die man der Führerscheinbehörde auch nachvollziehbar zu erklären vermag, kann man sich noch eine individuelle Extra-Fristverlängerung ausverhandeln. Dafür gibt es einen Toleranzerlass des Verkehrsministeriums, das – gehört auch erwähnt – hier blitzartig und extrem bürgerfreundlich reagiert hat.

Piktogramme erinnern die Kursteilnehmer an die wichtigsten Regeln die Hygiene betreffend.
Foto: Alexander Seger

STANDARD: Was ändert sich bei der Mehrphasenausbildung?

Seger: Eigentlich nix – außer dass die Fristen, in denen die Weiterbildungsmodule zu absolvieren sind, heuer ein wenig großzügiger betrachtet werden müssen. Die Nachwirkungen der siebenwöchigen Komplettsperre von Fahrschulen – gut gebuchte Osterkurse wurden storniert, der Auftakt der Moped- und Motorradausbildung verschoben – und der Shutdown der Fahrsicherheitszentren werden sich nicht so bald in Luft auflösen. In den Fahrschulen wird uns das über die Hochsaison der Sommerferien begleiten und sich bis in den Herbst ziehen.

STANDARD: Welche Neuerungen müssen die Fahrschulen umsetzen?

Seger: Das Übliche: Wir stellen Handdesinfektionsspender auf, rücken die Sessel im Lehrsaal auseinander, bitten die Kundinnen und Kunden, alles, was möglich ist, am Telefon oder per E-Mail und nicht persönlich bei uns zu erledigen – was ich besonders schade finde –, und putzen die Klos und die Türschnallen öfter als sonst. Kontaktflächen im Kursraum und im Auto werden beim Kundenwechsel gereinigt beziehungsweise schonend desinfiziert – wenn ich fünfmal am Tag das Lederlenkrad 30 Sekunden in Desinfektionslösung tunke, ist das noch vor dem Sommer hinüber. Da hilft zum Beispiel die Lenkradschutzfolie von der Rolle, die auch Werkstätten verwenden. Für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mich habe ich Gesichtsvisiere gekauft, vier Stunden Kurs durch einen Stofffetzen zu halten stelle ich mir nicht nur akustisch schwer herausfordernd vor. Die Fahrschülerinnen und -schüler bringen ihren Mund-Nasen-Schutz selbst mit, aber zur Not haben wir auch ein paar vorrätig.

Sogar die Fahrschulautos tragen nun Mundschutz.
Foto: Alexander Seger

STANDARD: Gibt es für den Geschäftsentgang und Neuanschaffungen Hilfen, oder stemmen das die Fahrschulen allein?

Seger: Wir haben die gleiche Unterstützung wie der Rest der gesetzlich von der WKO interessenvertretenen Betriebe. Die Miete läuft weiter, die Leasingraten sind zu bezahlen – aber du kannst keine Dienstleistung verkaufen. Der Umsatz ist schlagartig auf null. Wenn du 2019 ein bisserl was ins Gebäude als Sanierung investiert hast, die sofort in der Buchhaltung steht und nicht abgeschrieben wird, dein Einkommen als Einzelunternehmer daher niedrig ist und im März, April 2020 ein paar Anzahlungen für Sommerkurse aufs Bankkonto kommen, bist du schneller kein Härtefall, als du das glauben magst. Immerhin hat die Generali sehr freundlich reagiert und die Versicherungsprämie für stillgelegte Fahrschulfahrzeuge ab 45 Tagen Shutdown ausgesetzt, nicht erst ab drei Monaten wie üblich.

STANDARD: Was kann man als Fahrschule ins Homeoffice delegieren?

Seger: Das Absagen gebuchter Termine, die Neueinteilung von Stunden und Kursen, die generelle Kundenberatung – das kann man natürlich von daheim erledigen oder im Fahrschulbüro hinter der versperrten Eingangstür abarbeiten. Je nachdem, wo die bessere Kaffeemaschine steht. Der Fahrlehrer im Homeoffice ist ein Ding der Unmöglichkeit – du kannst ja maximal am Wohnzimmersofa sitzen und zu deinem Lebenspartner "Die Nächste links, bitte" sagen. Selbst bei zehn Prozent Kurzarbeit sind das vier Stunden Autowaschen pro Woche, da ist am Ende des Lockdowns kein Lack mehr auf der Karosse.

STANDARD: Könnte man die Kurse nicht als Videokonferenz anbieten?

Seger: Das Verkehrsministerium hat eindeutig festgehalten, dass das Ausbildungssystem im Kraftfahrgesetz und der Durchführungsverordnung als Unterricht vor physisch anwesenden Schülerinnen und Schülern konzipiert ist. Auch gegenüber den Verkehrsrechtsabteilungen der Länder hat das BMK zum Ausdruck gebracht, dass es für einen Online-Unterricht von Fahrschulen keine rechtliche Grundlage gibt. Daran haben wir uns gehalten, zumal die Rückmeldung von Schülern und Lehrern aus dem Freundes- und Bekanntenkreis über den Erfolg der Online-Schulklassen großteils von verhaltener Begeisterung geprägt waren.

STANDARD: Also sind Videochat-Kurse für Fahrschulen schlicht sinnlos?

Seger: Ob Online-Kurse einen Sinn haben, ist eine Frage, die die Gesellschaft beantworten muss – die Kernfrage ist: Worum geht es eigentlich dabei? Warum findet diese Veranstaltung überhaupt statt? Jene Fahrschulen, die ihren "Theoriekurs" schon in der Vergangenheit auf ein bloßes Durcharbeiten der Prüfungsfragen reduziert haben, wird eine Umstellung auf einen Internetvortrag sehr leicht fallen. Wenn der Gradmesser für die Qualität des Theoriekurses lediglich das Ergebnis bei der Computerprüfung ist, kann man den Theorieunterricht auch gleich weglassen. Es genügt, eine Prüfungs-App zu erwerben und damit die Fragen zu üben. Ein positiver Erfolg bei der Computerprüfung ist nice to have, weil Voraussetzung für einen Fahrprüfungstermin, hat jedoch mit einer Verkehrssinnbildung und Einstellungsprägung wenig zu tun. Für einen sinnvollen Theorieunterricht im Sinne der Verkehrssicherheit zählt vor allem Interaktion zwischen dem Vortragenden und den Fahranfängern. Ein Erarbeiten der Fähigkeiten, potenzielle Gefahren im Verkehr wahrzunehmen oder das Erkennen individueller Vorbedingungen, die einen Einfluss auf Einstellungen, Fahrverhalten und Unfallhäufigkeit haben: Das alles wird im Idealfall im Gruppengespräch durchgeführt. Dabei ist für eine zwischenmenschliche Kommunikation sowohl die körperliche als auch die geistige Präsenz der betroffenen Personen eine unabdingbare Voraussetzung. Ein derartiges Angebot muss man aber nicht nur können, sondern auch wollen.

Ich will aber nicht als verkrusteter Systembewahrer dastehen: Es könnten jene Teile des Theoriekurses, bei denen es sich um eine reine Wissensvermittlung handelt, in ein E-Learning ausgelagert werden. Als Vorbereitung auf das Präsenzlernen in der Fahrschule. Das gehört aber geplant, getestet, und kontrolliert – und dann so umgesetzt, dass das jede Fahrschule in ganz Österreich anbieten kann, wenn sie möchte. Das ist also kein Projekt, das sich in sieben Wochen aus dem Ärmel schütteln lässt.

"Wir haben im Lehrsaal derzeit Sitzabstände wie in der First Class der besten Airlines", sagt Alexander Seger.
Foto: Alexander Seger

STANDARD: Grob drübergerechnet: Um den Geschäftsentgang aufholen zu können, müsstet ihr mehr Schüler in kürzerer Zeit unterbringen? Geht das überhaupt unter den neuen Auflagen?

Seger: Aufholen? No way. Ich kann ja nicht schneller fahren oder die Leute im Kurs dichter schlichten – im Gegenteil! Aber versuchen wir einen positiven Blickwinkel und sprechen wir von einer Verschiebung, nicht von einem Entgang. Der Friseur schneidet die Haare genau einmal ab, nicht in drei Etappen. Niemand bestellt ein Zusatzschnitzerl beim Wirt, um dessen Geschäftsentgang zu mildern. Ins Konzert oder Theater gehe ich nächstes Jahr auch nicht doppelt und dreifach. Aber den Führerschein machst du halt ein paar Wochen oder Monate später. Klar: Wir kommen mit dem Frühjahrsgeschäft in die Hochsaison – schnell mal einen Führerschein zu machen, das wird es demnächst nicht spielen. Auch klar: Wenn ich im Lehrsaal wegen der Abstandregeln nur die Hälfte der Plätze besetzen kann, muss ich doppelt so viele Kurse anbieten, ohne dass das jemand extra bezahlen wird – aber dem Gastgewerbe geht es nicht anders. Die können auch nicht plötzlich acht Euro für das große Bier verlangen und 30 bis 40 Euro für ein Schnitzerl, weil dann ist nicht die Hälfte der Plätze leer, sondern alle. Wir haben im Lehrsaal derzeit Sitzabstände wie in der First Class der besten Airlines. Natürlich könnte ich die Tische wegräumen und noch ein paar Sessel reinschlichten, alles auf den Mindestmeter reduzieren – aber ich bin bei den Fahrstunden, die ich anbieten kann, durch den Rückstau der sieben Wochen schon jetzt am Limit.

STANDARD: Immer weniger Jugendliche, hört man, wollen einen Führerschein machen. Ist dem wirklich so?

Seger: Jein. Innerhalb des Gürtels in Wien brauchst du keinen Führerschein, da ist dir das Auto eh nur im Weg. Entlang der Südbahn bis Wiener Neustadt sind die Zugverbindungen toll, aber wenn du nur ein bisserl ins Ländliche ausfranst – egal ob Sulz im Wienerwald oder Trausdorf an der Wulka –, du bist ohne Individualverkehr ziemlich aufghaut. In Schasklappersdorf fragen die Leute bei der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht, ob ein Schal als Maske gilt – sie fragen, was ein öffentliches Verkehrsmittel ist. Die jüngsten 90 Prozent der Führerscheinwerber in Wien sind bis zu 32 Jahre alt. Im Burgenland liegt die 90-Prozent-Latte bei 21 Jahren, in den anderen Ländern sind es spätestens 24 Jahre. Da merkst du schnell, dass der Führerschein jenen ein Stück lang die ersehnte Freiheit bringt, die vom Mama-Taxi unabhängig sein wollen und keine U-Bahn vor der Tür haben. (Guido Gluschitsch, 7.5.2020)