Präsident Andrzej Duda bewirbt sich um die Wiederwahl.

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Noch knapper geht es wohl kaum: Am 10. Mai, also bereits diesen Sonntag, sollten in Polen eigentlich Präsidentschaftswahlen stattfinden. Doch auch gestern, Mittwoch, war zunächst nicht klar, ob und wie das überhaupt möglich sein wird.

Begonnen hatte das Chaos Anfang April: Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatte erkannt, dass ein normaler Urnengang mitten in der Corona-Krise wegen der Ansteckungsgefahr in den Wahllokalen ein allzu großes Risiko wäre. Mit ihrer Mehrheit im Sejm, dem Unterhaus des Parlaments, beschloss sie daher ein Gesetz, das die Abhaltung des Votums als reine Briefwahl ermöglicht.

Die Opposition hatte eine Verschiebung der Wahl gefordert, doch genau diese wollte die Regierung vermeiden. Hintergrund: Der amtierende Präsident Andrzej Duda, selbst aus den Reihen der PiS, führt in den Umfragen und hat derzeit als einziger aus dem Kandidatenfeld eine große mediale Bühne. Zudem, so die Befürchtung, könnten die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Führung des Landes früher oder später Sympathiepunkte kosten.

Boykottaufrufe

Zunächst allerdings hatte der Sejm die Rechnung ohne den Senat gemacht. Dort nämlich, im Oberhaus, hat die PiS keine Mehrheit. Prompt stimmte der Senat am Dienstagabend gegen das Briefwahlgesetz. Der Sejm kann dieses Veto zwar überstimmen, doch selbst, wenn dies in größtmöglichem Eiltempo passiert, wäre die rechtzeitige Zustellung aller Briefwahlunterlagen in ganz Polen nur schwer vorstellbar.

Zu Redaktionsschluss lag noch keine Entscheidung des Sejm vor. Im Gespräch war zuletzt auch eine kurzfristige Verschiebung auf 17. oder 23. Mai. Kritiker sehen die Wahl unter den gegebenen Umständen als verfassungswidrig an und fordern längeren Aufschub. Einige Oppositionelle, darunter die Kandidatin der liberalen Bürgerplattform (PO), Małgorzata Kidawa-Błońska, riefen gar zum Wahlboykott auf. Von einer "Pseudowahl" sprachen auch ehemalige Staats- und Regierungschefs, darunter der einstige Chef der Gewerkschaft Solidarność und spätere Präsident Lech Wałęsa. (Gerald Schubert, 6.5.2020)