Der Genomforscher Giulio Superti-Furga fordert im Gastkommentar, die Gelder für Forschung in Österreich zu erhöhen. Das mache die Gesellschaft für künftige Bedrohungen widerstandsfähiger.

Österreich geht nüchtern und effektiv mit der Corona-Herausforderung um. Dazu tragen fünf Punkte wesentlich bei: Das Niveau der Wissenschaft und Technik im Lande. Die Qualität des Bildungswesens und damit die kulturelle Bereitschaft der Bevölkerung, technische und ethische Anweisungen zu verstehen und anzunehmen. Das Gesundheitswesen und der kapillare Zugang dazu. Die Medien und das Niveau des öffentlichen Diskurses. Und schließlich die Politik und deren Bereitschaft, auf Wissenschaft respektvoll Bezug zu nehmen. Ja, Österreich punktet im internationalen Vergleich in all diesen Gebieten. Auf zwei möchte ich näher eingehen: die Wissenschaft und die Politik.

Wissenschaftliche Fitness

Durch die Sars-Cov-2-verursachte Krise ist vielen Menschen erst klar geworden, dass das Wissen aus sehr spezifischen Fachbereichen kurzfristig von enormer gesellschaftlicher Relevanz werden kann. Auf einmal werden fundamentale mathematische Kenntnisse der Bevölkerung gefordert und unzählige Expertinnen und Experten um ihre Einschätzungen gebeten. Der Reproduktionsfaktor R von Viren oder die "Polymerase Chain Reaction" sind in den Wohnzimmern angekommen. Seriöse als auch weniger seriöse Meinungen von echten und vermeintlichen Epidemiologen, Virologen und Pandemiepsychologen erfüllen den Äther und das Internet. Taskforces blühen überall, während Journalistinnen und Journalisten Grafiken von einer noch nie dargebotenen Komplexität erklären und Fakten von Fake-News unterscheiden müssen.

Die Corona-Krise zeigt: Es braucht eine dezidierte strategische Investition in Forschung.
Foto: EPA / Jakub Kaczmarczyk

Noch nie war das wissenschaftliche und technische Know-how einer Gesellschaft so wichtig. Aber wird der Erfolg der Gesellschaft nicht immer wieder von ihrer wissenschaftlichen Fitness abhängen? Man denke nur an den Klimawandel, erneuerbare Energiegewinnung, Migration, angemessene Ernährung, neurodegenerative Erkrankungen, Diabetes, gesundes Altern, nachhaltige Landwirtschaft oder die Erhaltung der Demokratie. Weitere Epidemien werden kommen, darauf kann man sich leider verlassen. Antibiotikaresistente Bakterien werden unsere Spitäler gefährden, Parasiten unsere Wälder und Felder.

Geistiger Impfstoff

Die wirtschaftlichen Konsequenzen von Covid-19 sind allgegenwärtig. Nur die unmittelbaren Hilfsmittel, die von der österreichischen Regierung für die Wirtschaft bereitgestellt worden sind, betragen 38 Milliarden Euro. Das ist mehr als das Hundertfache des jährlichen Budgets des FWF und der ÖAW zusammen, der wichtigsten Forschungsmotoren des Landes neben den Universitäten. Die gleiche Summe, über zehn Jahre in Forschung investiert, würde Österreich mit einem geistigen Impfstoff versehen, der uns für viele verschiedenartige zukünftige Bedrohungen widerstandsfähiger machen würde.

Wissenschaft und Mathematik könnten eine Aufwertung und Aufrüstung in den Schulen erfahren und junge Menschen für die Mint-Fächer begeistert werden. Aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaften würden von einem Upgrade profitieren, auch in Hinsicht auf Quantifizierung und Digitalisierung. Und wir müssten natürlich die Basis der Spitzenforschung ausbauen. Das Land hat Zugang zu weit mehr Talenten und Ideen, als zurzeit finanziert werden können. Spitzenforschungsinstitute kämpfen zwar tapfer in der Weltliga mit, aber immer mit durchschnittlich weniger Mitteln als in anderen innovativen Ländern und ohne langfristige Planbarkeit. Ein richtiges "Hinauffahren" der wissenschaftlichen Kompetenz des Landes würde im Schneeballeffekt zu mehr Innovation und Wettbewerbsfähigkeit führen.

Respekt vor Wissen, Fakten, Kompetenz

Durch die Corona-Krise hat Österreich eine Art positive "Verwissenschaftlichung" der Gesellschaft erlebt. Eine Konsequenz der Corona-Krise wird hoffentlich sein, dass wissenschaftliche Ignoranz als das gilt, was sie ist: ein Jammer! Das Entlarven und nicht mehr das Verbreiten von absurden Verschwörungstheorien wird "cool" sein. Und Influenza-Impfmuffeln wird mit mathematischen Modellen, Bettzahlen und Behandlungskosten gekontert.

Aber selbst eine "verwissenschaftlichte" Gesellschaft hilft dem Land bei den großen Herausforderungen nur wenig, wenn nicht auch die Politik Respekt vor Wissen, Fakten und Kompetenz vorweist. Seit einiger Zeit gibt es Treffen zwischen Nationalratsabgeordneten aus allen Fraktionen und Spitzenforscherinnen und -forschern der Akademie, um eine gemeinsame Dialogplattform zu etablieren. Regierung und Opposition lassen sich in der Corona-Krise von Expertinnen und Experten beraten – mit überzeugendem Effekt. Ja, Expertinnen und Experten haben oft andere Meinungen, und das ist normal und auch gut so. Aber die wesentlichen Grundsätze hat die Regierung gut verstanden und vermittelt. Und hier sehe ich eine echte Chance für Österreich.

Einmalige Chance

Wenn die Entscheidungsträger keinen Respekt vor der Wissenschaft haben und Expertenmeinungen nicht annehmen, ist das alles umsonst. Das sieht man am Beispiel USA. Auch die Vereinigten Staaten haben hervorragende Forscherinnen und Forscher im Lande, mit denen sich die Regierung beraten kann. Dennoch hat Präsident Donald Trump in einer Pressekonferenz ernsthaft davon gesprochen, als Covid-19-Maßnahme Desinfektionsmittel in die Lungen zu spritzen oder mit UV-Licht den Körper von innen belichten zu lassen. Wie viel fitter für die Zukunft erscheint dagegen ein Land wie Deutschland, das von Kanzlerin Angela Merkel geführt wird, die nüchtern und sachlich die Konsequenzen verschiedener "R"-Werte im Anteil der Corona-infizierten Bevölkerung erklären kann. Österreich hat einen Kanzler, der sich für Forschung und Technik als Treiber von Innovation interessiert. Die Oppositionsführerin ist Medizinerin.

Jetzt besteht die einmalige Chance zusammenzuarbeiten und die Corona-Krise als Wendepunkt zu betrachten, um eine dezidierte strategische Investition in die Forschung, in Österreich und in Europa, einzuleiten. Gepaart mit einer aufgeklärten politischen Führung, die sich regelmäßig mit Expertinnen und Experten berät und Zugang zu einem breit aufgestellten wissenschaftlichen Beratungsteam hat, würde Österreich einen enormen Schub nach vorne erfahren. Und das Ganze nicht hinter verschlossenen Türen, sondern wie derzeit in einem öffentlichen Diskurs mit einem Journalismus, der, wie die Wissenschaft, seine enorm wichtige Bedeutung jetzt besonders entfaltet. Die Bevölkerung würde diesen Wandel in der Wissenschaftsförderung mit Sicherheit unterstützen. (Giulio Superti-Furga, 7.5.2020)