Ob für Server, Cloud oder Desktop: Das Angebot an Linux-Distributionen ist selbst für Auskenner kaum überschaubar. Viele Nutzer halten sich deswegen gerne an die Klassiker – also etwa Debian für Server-Aufgaben oder auch Ubuntu für den eigenen Arbeitsplatzrechner. Dass man mit diesem strikten Fokus durchaus spannende Alternativen verpasst, zeigt nun die neue Generation einer noch relativ jungen Distribution auf.

Ausprobieren

Mit Pop!_OS 20.04 gibt es seit kurzem eine neue Generation der auf den Desktop ausgerichteten Distribution. Grundlage des Ganzen bildet das erst vor kurzem veröffentlichte Ubuntu 20.04. Hersteller System 76 erweitert dies aber um einige sinnvolle Funktionen, poliert es optisch auf und räumt zugleich mit umstrittenen Eigenwegen von Ubuntu-Hersteller Canonical auf.

Pop!_OS 20.04.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Doch zunächst einmal noch ein paar Worte zu System 76: Der Name dürfte nämlich manchen bekannt vorkommen. Handelt es sich dabei doch um einen Hardwarehersteller, der seit ein paar Jahren Server, Desktop-Systeme und Laptops mit Linux anbietet. Und genau zu diesem Zweck wurde Pop!_OS entwickelt. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die Distribution auf diese Hardware beschränkt ist – ganz im Gegenteil. Sie läuft natürlich auch auf allem, wo etwa Ubuntu funktioniert.

Der Installer für Pop!_OS ist denkbar simpel gehalten.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD
Die Empfehlung zur Verschlüsselung des Datenträgers sticht positiv hervor.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Download

Wie in der Linux-Welt üblich steht Pop!_OS als Live-Image zum Download, das dann auf einen USB-Stick gespielt und von dort direkt gestartet werden kann. Allerdings gibt es von der Distribution zwei Varianten: eine für Intel- und AMD-Systeme, die sich auf freie Treiber beschränkt, und eine für Rechner mit Nvidia-Grafikkarte, wo auch gleich der proprietäre Grafiktreiber des GPU-Herstellers mitgeliefert wird.

Schon bei der Installation fällt auf, dass System 76 viel Wert auf den optischen Auftritt seiner Distribution gelegt hat. Ein hübsch gemachtes dunkles Theme wird mit zahlreichen Grafiken angereichert. Der Ablauf ist hingegen relativ unspektakulär – und zwar im positiven Sinne. Mit wenigen Klicks ist die Einrichtung auch schon wieder erledigt. Besonders positiv fällt dabei auf, dass Pop!_OS offen zur Verschlüsselung des Dateisystems drängt und dabei auch einfach verständlich über die Konsequenzen dieses Schrittes informiert. Es wäre hoch an der Zeit, dass mehr Distributionen die Verschlüsselung des Dateisystems zum Standard machen.

GNOME minus Extras plus Extras

Der Desktop selbst erinnert dann auf den ersten Blick weniger an Ubuntu denn an andere Distributionen wie Fedora. Das liegt daran, dass sie alle den aktuellen GNOME 3.36 als Basis verwenden, Pop!_OS aber all die Ubuntu-Modifikationen hinausgeworfen hat. Dafür kann die Distribution aber mit eigenen Verbesserungen aufwarten.

Window Tiling

Die Window Tiling Funktionen sind über ein eigenes Menü aktivierbar
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die wichtigste davon: Pop!_OS hat eine "Tiled Window"-Erweiterung für die GNOME Shell entwickelt, die über ein Menü am Desktop schnell erreicht werden kann. Diese erlaubt es, Fenster von mehreren Anwendungen automatisch nebeneinander anzuordnen. Über Tastatur-Shortcuts oder die Maus können sie dann umsortiert oder auch in ihrer Größe verändert werden, wobei die anderen Fenster sich immer selbsttätig anpassen. Das Ganze ist eine durchaus effiziente Art zu arbeiten, aber natürlich auch kein gänzlich neues Konzept. Tiling Window Manager gibt es bereits einige, und gerade Puristen werden schlanke Lösungen wie i3 wohl auch lieber sein als eine auf GNOME basierende Version. Trotzdem ist das Ganze fraglos ein interessantes Extra für einen sonst klassischen Desktop.

Zusätzlich hat Pop!_OS noch einen eigenen Schnellstarter integriert, der ebenfalls über eine einfache Tastenkombination aufgerufen werden kann und dann direkt über dem Desktop-Geschehen eingeblendet wird. Auch sonst zeichnet sich Pop!_OS durch einige nützliche Tastaturkürzel aus, etwa um einzelne Anwendungen zu starten. Und Vim-Fans können sogar die von dort bekannten Shortcuts für den Wechsel zwischen Fenstern verwenden.

Neben dem von Haus aus voreingestellten Dark Theme gibt es auch eine helle Variante, die über die Systemeinstellungen aktiviert werden kann. Nett gemacht ist auch die Unterstützung für Hybridgrafik: So kann man etwa festlegen, dass die Onboard-Grafik immer von Haus aus genutzt wird und dann beispielsweise eine Nvidia-Karte nur für explizit ausgewählte Anwendungen zum Einsatz kommt.

Der Tiled-Windows-Modus ordnet die Fenster automatisch an.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Softwareauswahl

Die Softwareausstattung ist relativ schlank, enthält aber gewohnte Highlights wie Firefox und LibreOffice in aktuellen Versionen. Der Rest der Desktop-Anwendungen wird aus GNOME-Programmen bestritten, interessant ist auch, dass hier der schlankere Mail-Client Geary statt des bekannteren Evolution mitgeliefert wird.

Flatpak statt Snap

Zur Verwaltung der Programme nutzt Pop!_OS eine eigene Softwarezentrale. Was dabei auch schnell auffällt: Die Distribution streicht den Snap-Support von Ubuntu komplett und setzt lieber auf die von anderen Linux-Anbietern favorisierten Flatpaks. Das zugehörige Repository Flathub ist auch bereits von Haus aus eingerichtet, womit die dort verfügbaren Pakete ohne weitere Installationsschritte zu finden sind. Derzeit bleibt dies aber nur eine Option, die Programme im Default-Install stammen alle noch direkt aus den Ubuntu-Paketquellen.

Pop!_OS hat ein eigenes Update-Tool samt Flathub-Anbindung.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Für die Zukunft will man aber zunehmend auf Flatpaks setzen, daran lassen die Entwickler keinen Zweifel. Immerhin stelle das damit einhergehend Sandboxing sicher, dass Programme nur auf die für sie relevanten lokalen Daten Zugriff haben – im Gegensatz zu klassischen Desktop-Anwendungen. Dies passe zum eigenen Privacy-Fokus, betont System 76. Denn auch sonst lege man Wert darauf, dass bei Pop!_OS keinerlei Daten über die Nutzer gesammelt werden. Ein unübersehbarer Seitenhieb auf Ubuntu, das von Haus aus allerlei Statistikdaten sammelt, auch wenn sich das einfach deaktivieren lässt.

Upgrade

Eine weitere Eigenentwicklung ist das OS Upgrade Tool, das neue Versionen des Betriebssystems automatisch im Hintergrund herunterlädt und dann den Nutzern zur Installation anbietet – aber dies nie selbsttätig vornimmt. Ebenfalls interessant ist eine Funktion namens "Refresh Install": Diese erlaubt es, das System auf den Ausgangszustand zurücksetzen – dies allerdings bei Beibehaltung der Nutzerdaten.

Die Systemeinstellungen hat System 76 um ein Firmware Update Tool erweitert. Dieses ist natürlich vor allem für die eigene Hardware gedacht. Da im Hintergrund aber die Daten des LVFS-Projekts genutzt werden, gibt es darüber auch Firmware anderer Hersteller – von BIOS-Updates bis zur Aktualisierung der Software diverser Mäuse. Ein weiteres Extra ist ein Tool, das den Akkuverbrauch des Systems analysiert.

Ein helles Theme gibt es auch.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Support

Ein klassisches "Long Term Support"-Versprechen gibt es bei Pop!_OS zwar (bisher) nicht, allerdings bleiben die sechsmonatigen Versionssprünge optional. Und so ist es jetzt etwa auch möglich, direkt von Pop!_OS 18.04 auf 20.04 upzugraden. Und für alle, die Pop!_OS haben, gilt: Einen Blick ist die Distribution auf jeden Fall wert. (Andreas Proschofsky, 10.5.2020)