Zunehmende Verlust- und Abstiegsängste sind, das wissen wir, der beste Nährboden für kräftige Feindbilder. Gedüngt wird dieses Substrat von noch nie als so groß empfundener Unsicherheit. Niemand glaubt mehr, dass Pandemie und Quarantäne nur eine mehr oder minder unangenehme Zwangspause sind. Im Gegenteil: Sehr viele Menschen haben das Gefühl, zu kurz zu kommen, mehr draufzuzahlen, härter getroffen zu werden und schlimmer beschädigt zu werden als andere.

Weil der Job verloren ist. Weil keine Lehrstelle in Aussicht ist. Weil das Geschäft nicht betrieben werden darf oder weil die Eltern nicht besucht und die Kinder nicht wie geplant ausgebildet werden können. Weil völlig unklar ist, wohin die Kurzarbeit führt. Ganze Lebensentwürfe, vermeintlich gut und sicher gebaute Pläne, sind zerschlagen. Bei Hunderttausenden hat sich das Leben quasi über Nacht zum Orientierungslauf gewandelt. Sie alle fühlen sich als Opfer.

Das Johann Strauss Denkmal im Wiener Stadtpark mit Maske.
Foto: APA/HANS PUNZ

Da sind schlichte Gleichungen schnell zur Hand, vor allem in einer Gesellschaft, die tendenziell Haben und Nehmen als seliger wertet denn Geben. Da sprießen die Feindbilder geradezu und haben das ungute Potenzial, sich in quasi selbstverständlichen gesellschaftlichen Bildern zu verfestigen. Im Groben kennen wir solche Aussortierungen: die Leistungsträger und die Minderleister; die gut Brauchbaren am Arbeitsmarkt und die, die man mitschleppen muss.

Zersetzungstendenzen

Aktuell zeichnet sich ein großes Angebot an solchen falschen Zuschreibungen und Bildern ab, die spalten und enorme Sprengkraft haben. Beispiele gefällig: Alte, für deren Schutz so viel getan wird; sie werden seit Wochen fast ausschließlich als "zu Pflegende" visualisiert. Junge, die noch nichts geleistet haben, aber angeblich ständig Corona-Partys feiern. Kinder, die von ihren Eltern als Virenschleudern aus dem Haus gelassen werden. Und was machen eigentlich die vielen Jogger, die wohl in der Kurzarbeit nichts zu tun haben? Die Denunziantentruppe ist auf Rundgang.

Das wird in den kommenden Rezessionsmonaten nicht besser werden. Einfache Rezepte und schnelle Erfolge gegen solche Zersetzungstendenzen werden sich nicht finden. Allerdings brauchen wir schnell ein Bewusstsein dafür und Gegenwirken auf allen Ebenen. Top-down ist die Politik gefordert. Sogenanntes Framing beherrscht sie ja. Also muss sie sich nun bemühen, bewusst integrative Bilder zu zeichnen – auf Plakaten, in Inseraten, in der gesamten Kommunikation. Ungleichheit, Unfairness: Alles, was empfunden wird, ist aktiv zu thematisieren. Maßnahmen wie etwa eine Verlängerung der Ausbildungsgarantie für Junge oder ein Ausbau überbetrieblicher Lehrwerkstätten und gemeinschaftlich organisierter Bildungsangebote müssen jetzt lanciert werden. Arbeitsmarktpolitik muss jetzt weg vom Imperativ des "um-zu", hin zum Imperativ der Ermächtigung für Beschäftigungsfähigkeit auch ohne Vorbereitung auf einen unmittelbar konkreten Job.

Unternehmen und Organisationen müssen jetzt sehr genau hinschauen, wen sie wohin sortieren (wollen) und mit welchen Folgen. Dazu gehört ein Maßnahmenpaket an Förderstrukturen und Steuererleichterungen für Ausbildung, Integration und Gleichstellung. Das kann, wie wir bei Covid-19 erlebt haben, schnell geschnürt sein. Und wir alle sind jeden Tag aufgerufen, uns selbst zu fragen, welche Feindbilder in uns gerade aufsteigen. (Karin Bauer, 7.5.2020)