Was kaufen die? Wer gehört zu wem? Beim "Leid schaun" wird spekuliert.

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Im Waldviertel heißt die Sache Leute schauen ("Leid schaun") und gilt quasi als anerkannte Freizeitbeschäftigung. Dafür braucht es nicht viel: ein Konzert, einen Kirtag oder ein belebtes Stadtzentrum. Man könnte es vergleichen mit einem Schaufensterbummel – nur dass statt Waren die Mitmenschen betrachtet und besprochen werden. Im Dorf oder der Kleinstadt sind es meist bekannte Gesichter oder zumindest jene, "die man vom Sehen kennt", wie es so schön heißt. Es geht um das Sehen aus der Redewendung "sehen und gesehen werden".

Aber auch in meinem Haushalt ist "Leid schaun" ein beliebter Zeitvertreib. Denn amüsant ist es allemal, auch in der Großstadt, wo man die meisten seiner Mitmenschen nicht kennt. Gut geeignet sind Parks, Einkaufszentren und Supermärkte. Wichtig ist ein guter Aussichtspunkt.

Herrliche Szenen

Wer Glück hat, wohnt an einem belebten Platz oder hat – wie wir – ein Einkaufszentrum um die Ecke, von dessen Café im ersten Stock man einen perfekten Ausblick auf die Obst- und Gemüseabteilung des Supermarkts darunter hat (Jackpot!). Samstagvormittag spielen sich da herrliche Szenen ab. Und falls nicht, dann spekulieren wir und denken uns was aus: Wer gehört zu wem? Wer hat die beste oder die schlechteste Frisur? Was kaufen die denn alles ein?

Corona hat diesem Hobby nun freilich ein Schnippchen geschlagen. Kaffeehäuser haben zu, in den Supermarkt sollte man nur gehen, wenn es unbedingt notwendig ist. Die Objekte unserer Beobachtung marschieren daher neuerdings durch das Treppenhaus der Nachbarstiege, auf die wir vom Esstisch aus einen guten Blick haben. Und: Auf unserem begehbaren Dach gibt es diese eine Ecke links vorn, von der die Sicht auf den gegenüberliegenden Hofer-Parkplatz perfekt ist. Ich sage Ihnen: Das ist besser als Netflix! (Bernadette Redl, 8.5.2020)