Andreas Treichl ist von der Erste Group in die Stiftung übersiedelt. Räumlich sitzt er nun auf der anderen Straßenseite des Erste-Bank-Campus – dort, wo der D-Wagen einst seine Umkehrschleife hatte. Dieses Gespräch führt er in seiner Rolle als Bankenobmann, die er noch bis 19. Juni innehat.

STANDARD: Die Regierung hat ein Hilfspaket von 38 Milliarden Euro für die Wirtschaft geschnürt. Wird das reichen?

Treichl: Ich hoffe, dass es sich ausgeht. Sagen kann das derzeit aber niemand, und wenn noch eine zweite Corona-Welle kommt, reicht es unter Umständen nicht.

Andreas Treichl glaubt, dass kapitalstarke Österreicher ihr Geld in heimische Unternehmen stecken werden.

STANDARD: Kann man die Wirtschaft ein zweites Mal abstellen?

Treichl: Wie wir gesehen haben, kann man als Regierung alles tun. Es ist aber eine Frage der Konsequenzen, und die Regierung müsste sich das sehr gut überlegen. Wir kennen ja die Folgen der ersten Schließung, und die scheint man derzeit ganz gut im Griff zu haben. Es ist die Politik, die dann zwischen Wirtschaft und Gesundheit entscheiden muss – und das sind extrem schwierige Entscheidungen. Man sieht aber, dass jene Länder, die auf der Gesundheitsseite einen guten Job gemacht haben, auch auf der wirtschaftlichen Seite besser dastehen. Ob man aber den richtigen Weg gewählt hat, wird man erst nächstes Jahr wirklich sagen können.

STANDARD: Die Rolle der Banken ist es, staatlich garantierte Kredite zu vergeben. Viele Unternehmer beklagen sich, dass das viel zu langsam gehe und die Banken blockierten. Stehen die Institute auf der Bremse?

Treichl: Es ist nicht alles reibungslos gelaufen, viele Entscheidungen mussten sehr schnell getroffen werden, und da waren nicht alle richtig. Aber rückblickend gesehen ist die Hilfe sehr positiv zu sehen. Es ist trotzdem verständlich, dass es sehr viele verärgerte Unternehmer gibt, manche Branchen trifft die Krise auch besonders hart. Die Hotellerie etwa: alles zugesperrt, null Umsatz.

STANDARD: Warum hat es so lang gedauert, bis die Banken aktiv wurden?

Treichl: Es hat einige Wochen gedauert, bis die Haftungen so aufgesetzt waren, dass es für den Staat, die Banken und geltende Gesetze und Regularien gepasst hat. Das ging zulasten der Betroffenen.

STANDARD: Viele von ihnen warten auch jetzt noch wochenlang, bis das Geld auf ihrem Konto ist. Jede Stelle, die mit dem Kreditantrag zu tun hat, prüfe, und so vergehe wertvolle Zeit, sagen sie.

Treichl: Die Banken kommen mit dem beantragten Kreditvolumen schon zurecht. Dass das aber bei kleineren Institutionen wie der ÖHT (Österreichische Hotelier- und Tourismusbank, bei ihr beantragen Hoteliers die Hilfen, Anm.) oder dem AMS (für die Kurzarbeit zuständig, Anm.) Kapazitätsengpässe bringen musste, war vorhersehbar.

STANDARD: Die Banken prüfen auch die Bonität der Unternehmen, die Hilfe beantragen. Wirtschaftsministerin Schramböck hatte in einer Pressekonferenz mit dem Finanzminister, an der auch Sie teilnahmen, gemeint, es werde keine Bonitätsprüfung geben. Das stimmt aber nicht.

Pressekonferenz mit Finanzminister Gernot Blümel (Mitte), Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Bankenobmann Andreas Treichl.
Foto: APA/Schlager

Treichl: Das war etwas unglücklich formuliert. Die Banken agieren als Treuhänder der Republik und müssen für die Garantievergabe prüfen, dass sich nicht Unternehmen mit Corona-Hilfsgeldern sanieren, die schon vor der Corona-Krise schlecht dastanden. Sie müssen feststellen, dass das Unternehmen Ende 2019 kreditfähig war. Das ist auf viele Probleme gestoßen. Aber ich bleibe dabei: Insgesamt ist das sehr gut gelaufen, vielen tausenden Unternehmen wurde sofort und gut geholfen. Man hört ja meist nur die Beschwerden.

STANDARD: Das Prozedere ist recht aufwendig: Die Unternehmen wenden sich an ihre Bank, die wendet sich an die ÖHT oder ans AWS, und das leitet die Anträge an die staatliche Finanzierungsagentur Cofag weiter, dann kommen Wirtschafts- und Finanzministerium ins Spiel, bevor die Cofag entscheidet. Braucht es die Cofag da überhaupt?

Treichl: Es ist nicht an mir, das zu beurteilen. Ich als Spartenobmann der Banken habe die Aufgabe, darauf zu schauen, dass die Banken ihre Funktion gut erfüllen. Und das tun sie. Wobei die behördliche Seite schon einfacher hätte aufgesetzt werden können, die Anträge für Kurzarbeit sind in vielen Ländern sehr viel kürzer und einfacher gestaltet. Bei uns hat da eine gewisse österreichische Bürokratiesucht obsiegt.

STANDARD: Auch in der Schweiz kommen die Unternehmer leichter an die Hilfszahlungen.

Treichl: In der Schweiz ist es viel einfacher, dort verwendet man die Banken im Wesentlichen als Poststelle: Sie geben das staatliche Geld einfach weiter. Das ist nicht der richtige Weg, finde ich. Denn es geht um ein Corona-Hilfspaket – und wenn Banken Geld nur weiterreichen, können sie Missbrauch nicht verhindern, mangels Prüfung, ob es dem Unternehmen nicht schon vor der Krise schlecht gegangen ist.

STANDARD: Jetzt ist die Zeit des "Koste es, was es wolle", als Nächstes werden viele Bankkunden ihre Krisenkredite nicht zurückzahlen können, Haftungen werden schlagend werden, und die Wirtschaft wird Eigenkapital brauchen. Ist die Wirtschaft für diese zweite Phase gerüstet?

Treichl: Das ist ein sehr wichtiges Thema, mit dem man sich jetzt und ab sofort beschäftigen muss. Denn ab Herbst werden mehr und mehr Unternehmen Eigenkapital benötigen – und die Möglichkeiten dafür sind in Europa viel weniger vorhanden als etwa in den USA oder Großbritannien. Wir müssen einen Weg finden, das vorhandene Kapital zu jenen zu bringen, die es brauchen.

STANDARD: Der Staat überlegt ja immer wieder, über seine Beteiligungsholding Öbag in Unternehmen einzusteigen. Schwer vorstellbar aber, dass sich die Republik in eigenkapitalschwache Klein- oder Mittelbetriebe einkauft, oder?

Treichl: Das ist eine Aufgabe, die die Wirtschaft allein lösen kann, die aber auch Staat und Wirtschaft gemeinsam lösen können. Ich glaube nicht, dass es jetzt eine große Verstaatlichungswelle braucht – aber der Staat kann mit Steueranreizen unterstützen, dass das riesige nichtverzinste Vermögen der Österreicher zu einem Teil Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, die Kapital brauchen.

STANDARD: Wenn das schon in guten Zeiten nicht klappt: Warum soll es jetzt, in der Krise, klappen?

Treichl: Weil Notsituationen sehr oft Energien freisetzen, die man in guten Zeiten nicht aufbringt. Plötzlich muss man Lösungen finden, und da kann viel Kraft entstehen. So eine Krise kann dazu führen, dass man eigene Schwächen präsentiert bekommt und schnell etwas dagegen unternimmt.

STANDARD: Welche Rahmenbedingungen muss die Regierung schaffen, um den Kapitalmarkt zu beleben?

Treichl: Es braucht steuerliche Anreize für private Kapitalgeber, etwa über die KESt oder die Anrechenbarkeit von Beteiligungen auf die Einkommensteuer.

STANDARD: Die Renditen werden überschaubar sein.

Treichl: Ja, viele Unternehmen werden nicht in der Lage sein, so zu wirtschaften, dass das Kapital so zu verzinsen wird, wie das herkömmliche Investoren anstreben. Darum braucht es eben steuerliche Anreize. Ich glaube aber auch, dass sehr, sehr viele kapitalstarke Österreicher bereit sind, Eigenkapital für geringe Renditen zur Verfügung zu stellen, wenn sie der Wirtschaft damit helfen können, wieder in Schwung zu kommen.

STANDARD: Wirklich? Haben Sie Hinweise darauf?

Treichl: Ich glaube das, und ich habe Hinweise darauf.

Das schwer von der Corona-Krise getroffene Italien (hier: Premier Giuseppe Conte) will, dass die EU-Länder gemeinsam einzahlen.
Foto: AFP/Oikonomou

STANDARD: In der Krise haben die EU-Staaten ihre nationalstaatlichen Interessen verfolgt. Die EU hat lang gebraucht, um zu reagieren. Hat sie versagt?

Treichl: Das kann man so nicht sagen, denn die Krise hat die einzelnen Länder völlig unterschiedlich erwischt, man musste daher lokale Maßnahmen treffen. Jetzt wäre aber eine Riesenchance, EU-weit einheitlich zu agieren. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das passiert – aber bis jetzt ist nichts Beeindruckendes geschehen. Vor allem fehlen uns in Europa einheitliche Dateninfrastruktur, Datengesetzgebung und Datennetzwerk. Das klingt unaufregend, wäre aber auch für die Wirtschaft enorm wichtig. Wir sind im Güterverkehr eine Wirtschaftsunion, aber nicht im Daten- und Dienstleistungsverkehr. So werden wir nicht weiterkommen.

STANDARD: Italien und Co wollten die Finanzierung durch Eurobonds, Österreich ist strikt dagegen. Findet da eine Entsolidarisierung der EU-Staaten statt?

Treichl: In der Krise wird die EU immer wirkungsloser. Denn die Staaten beschließen riesige Hilfspakete, um die Wirtschaft zu stützen und daneben bleibt die EU auf ihren 1,1 Prozent sitzen (1,1 Prozent des BIP will die EU als Mitgliedsbeitrag, Anm.). Damit bleibt die Hilfsmöglichkeit der EU begrenzt. Ich hätte den Beitrag aufgestockt. Wir müssten uns doch bewusst sein, dass wir eine Union sind und dass die Probleme der schwachen Länder auch unsere Probleme sind und bleiben werden. Wenn man das beenden will, dann muss man sagen: Wir sind keine Union mehr. Derzeit suchen wir endlos nach Kompromissen – wenn wir weiterhin so agieren, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir immer weiter hinter China und die USA zurückfallen.

STANDARD: Die USA stecken aber gerade tief in der Corona-Krise.

Treichl: Ja. Aber wirtschaftlich wird es schneller aus der Krise kommen als Europa, weil die US-Notenbank Federal Reserve einfacher und schneller handeln kann als die EZB und die Transformationsmechanismen von Eigenkapital schneller funktionieren als in Europa. Die Staatschefs in der EU müssten das erkennen und jetzt ihre Chance ergreifen: Bestimmte Themen sind so essenziell, dass sie einen großen, einheitlichen Markt benötigen, und wir in Europa hätten einen Markt mit 500 Millionen Menschen.

STANDARD: Die Banken werden krisenbedingt wieder faule Kredite anhäufen. Sie glauben trotzdem, dass das Finanzsystem gut rauskommen wird?

Treichl: Ja. Natürlich kann es passieren, dass es die eine oder andere kapitalmäßig schlecht ausgestattete Bank in fünf Jahren nicht mehr geben und von einem Konkurrenten übernommen werden wird. Aber das Finanzsystem ist nicht gefährdet und wird dem Steuerzahler nicht zur Last fallen. Diese Krise wurde durch staatliche Maßnahmen ausgelöst, die aus gesundheitlichen Gründen getroffen wurden. Also muss der Staat etwas einzahlen, möglichst, ohne sich das wieder von uns allen zurückzuholen. Das ist schwierig, aber machbar. (Renate Graber, 8.5.2020)