Genaue Antikörpertests sollen künftig zuverlässigen Aufschluss darüber geben, wer bereits eine Covid-19-Infektion hinter sich hat. Ein solcher Immunitätspass könnte in den nächsten Monaten ein begehrtes Gut werden.

VALERIE MACON / AFP

Mit knapp 1,3 Millionen Infizierten und rund 75.000 Covid-19-Toten sind die USA trauriger Spitzenreiter in den Corona-Opferstatistiken. Das ist vor allem auf das Vorgehen ihres Präsidenten zurückzuführen. Es gibt aber auch mutwillige Dummheiten vor allem von jungen Leuten (darunter angeblich auch Harvard-Absolventen), die "Corona-Partys" veranstalten, um sich absichtlich zu infizieren. Denn nach überstandener Infektion, so die Annahme, müsse man keine Einschränkungen mehr beachten und habe entsprechend bessere Karrierechancen.

Der jüngste dieser Fälle wurde aus dem US-Bundesstaat Washington gemeldet: Im Landkreis Walla Walla in der Nähe von Seattle haben 25 der knapp 100 Neuinfizierten zu Protokoll gegeben, dass sie bei einer derartigen Party gewesen seien. Die Reaktion des obersten Gesundheitsverantwortlichen des Bundesstaats fiel entsprechend harsch aus: "Gruppenversammlungen inmitten einer Pandemie können unglaublich gefährlich sein und setzen Menschen einem erhöhten Risiko eines Krankenhausaufenthalts oder sogar des Todes aus."

Unklarer Immunitätsstatus

Abgesehen vom enormen Risiko für die "Partygänger" und ihr Umfeld ist nicht ganz klar, ob die Immunität in allen Fällen tatsächlich gegeben ist und wie lange sie anhält. So verwies die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst vor wenigen Tagen darauf, dass manche Personen nach überstandener Krankheit nur sehr wenige Antikörper im Blut haben und äußerte sich hinsichtlich der Ausstellung von "Immunitätspässen" sehr zurückhaltend bis skeptisch.

Grundsätzlich gehen Immunologen aufgrund von Erfahrungen mit anderen Coronaviren und Sars aber davon aus, dass man nach einer überstandenen Infektion und entsprechender Antikörperbildung zumindest ein Jahr immun sein dürfte. Das hängt auch damit zusammen, dass Sars-CoV-2 recht stabil zu sein scheint und bisher wenige Mutationen zeigt. (Die angeblichen Wiederansteckungen von 90 Südkoreanern dürften im Übrigen auf Testfehler zurückgehen.)

Infizieren für die Forschung?

Ob man Freiwillig absichtlich anstecken soll, wird auch von Bioethikern heftig diskutiert. Im "Policy Forum" des Wissenschaftsmagazins "Science" machte ein Team um Seema Shah (Northwestern University in Chicago) am Donnerstag einen diesbezüglichen Vorstoß, weil sich auf diese Weise die Entwicklung eines Impfstoffs beschleunigen lassen könnte.

Doch solche sogenannten "Human Challenge Trials" , bei denen Versuchspersonen solche Risiken absichtlich auf sich nehmen, sind unter Wissenschaftern umstritten. Kritiker verweisen auf hohe gesundheitliche Risiken und ethische Bedenken.

Das Team um Shah argumentiert, dass in jede Fall die Risiken für Studienteilnehmer, Personal und Dritte minimiert werden müssten. So sollten etwa nur junge, gesunde Menschen als Probanden zugelassen und deren Gesundheitszustand langfristig beobachtet werden. Klinische Studien mit freiwillig Infizierten könnten in der Coronakrise "in mehrfacher Weise einen hohen sozialen Wert" haben, resümieren die Wissenschafter.

Immune "Schutzschilde"

Eine ebenfalls am Donnerstag in "Nature Medicine" veröffentlichte Studie weist auf einen weiteren Vorteil hin, den geheilte Covid-19-Patienten für die Allgemeinheit haben könnten: Sie würden, richtig eingesetzt, gleichsam "Immunitätsschutzschilde" bilden und dadurch eine wichtige Rolle im weiteren Pandemiegeschehen spielen, indem sie zusätzlich Interaktionen (also etwa Einkäufe oder Besuche) von Nichtinfizierten übernehmen.

Die Forscher um Joshua Weitz (Georgia Institute of Technology in Atlanta) rechneten Effekte durch, die ein solcher gezielter Einsatz von immunen Personen auf verschiedene Epidemieszenarien hätte, und kamen – bei einer angenommenen Bevölkerung von zehn Millionen Menschen – zu erstaunlichen Zahlen.

Bei einer Ausbreitung von Covid-19 mit einer Basisreproduktionszahl R0 von 1,57 (eine infizierte Person steckt im Schnitt 1,57 andere an) käme es laut dem Modell ohne "Schutzschilde" zu 50.000 Toten. Übernähmen die immunen Personen im Schnitt zwei Interaktionen von ungeschützten Personen, würde die Zahl der Toten auf 34.000 sinken, bei insgesamt 20 zusätzlichen Interaktionen gar auf 8.400.

Eine absichtliche Infektion riskieren, um so ein "Schutzschild" sein zu können, sollte man deshalb aber wohl trotzdem nicht. Und wenn, dann bitte gleich auch im Dienste der Impfstoffforschung und nicht bei einer "Corona-Party". (Klaus Taschwer, 8.5.2020)