Werden sich in naher Zukunft die Babys auf den Entbindungsstationen nur so drängeln? Laut einer aktuellen Studie aus Italien sieht es nicht danach aus.
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Seit April ist wiederholt die Hypothese in den Schlagzeilen aufgetaucht, der gesellschaftliche Lockdown zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie könne als Spätfolge eine erhöhte Geburtenrate nach sich ziehen (aktuelles Beispiel: "Mehrheit der Frauenärzte rechnet mit Babyboom"). Der simple Grund: Paare mussten zwangsläufig mehr Zeit miteinander verbringen, und das zuhause.

Gerne wird in diesem Zusammenhang auf kurzfristige gesellschaftliche Ausnahmesituationen verwiesen, die sich positiv in der Geburtenstatistik niedergeschlagen hätten – allen voran der große Stromausfall, der New York im November 1965 traf. Solche Beispiele sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Spätere Analysen zeigten, dass der vielzitierte Babyboom neun Monate nach dem New Yorker Blackout innerhalb der normalen Schwankungsbreite lag.

Beide Ideen klingen plausibel

Und genauso ist auch die Gegenhypothese im Umlauf. Sie legt die Betonung beim zwangsweisen Zusammenrücken zuhause auf das "zwangsweise". Es handle sich also um eine Stresssituation, und das in Verbindung mit allgemeinen Zukunftsängsten aufgrund der Pandemie sei einer Familienplanung mit weiteren Kindern nicht förderlich. Unter Hashtags wie #CoronaEltern zirkulierende Einblicke ins Familienleben mögen ein Übriges tun. Sie sind zwar auf die aktuell erschwerten Bedingungen bezogen, rufen nebenher aber auch verstärkt in Erinnerung, vor welchen Herausforderungen Eltern ganz allgemein stehen.

Solange es keine empirischen Daten gibt, lässt sich trefflich über gegensätzliche Vermutungen philosophieren; beide klingen ja irgendwie plausibel. Nun gibt es erstmals Zahlen. Sie kommen aus Italien, wo ein landesweiter Lockdown am 10. März in Kraft trat – und sie sprechen tendenziell gegen die Prognose eines Babybooms. Die Ergebnisse wurden im "Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynecology" veröffentlicht.

Die Erhebung

In der dritten Woche des italienischen Lockdowns führte ein Team um Elisabetta Micelli von der Universität Florenz eine Online-Umfrage zur Familienplanung durch. 944 Frauen und 538 Männer im Alter von 18 bis 46 Jahren, die seit mindestens einem Jahr in einer heterosexuellen Beziehung lebten, ergaben das Sample.

Das Ergebnis: 81,9 Prozent der Befragten, also 1.214 Personen, erklärten, dass sie keine Empfängnis anstreben würden, solange die Pandemie anhält. Und vielleicht noch signifikanter: 268 der insgesamt 1.482 Befragten erklärten, dass sie vor der Pandemie geplant hätten, eine Familie zu gründen. Mehr als ein Drittel davon (37,3 Prozent) gab den Kinderwunsch dann im Zuge der Pandemie auf.

Immerhin erklärten auch 140 Personen (11,5 Prozent der Gesamtstichprobe), dass sie erst während der Pandemie darüber nachzudenken begannen, eine Familie zu gründen; mehrheitlich handelte es sich dabei um Frauen. Das scheint die Quote derer, die sich umgekehrt entschieden haben, mehr als auszugleichen. Allerdings blieb das laut Micelli bei fast allen auf vage Vorstellungen wie den "Willen zur Veränderung" oder den Drang, "etwas Positives tun zu müssen", beschränkt. Unter diesen 140 Befragten versuchten ganze sechs Frauen tatsächlich schwanger zu werden.

Erdrückende Sorgen

Bei der Frage nach ihren Motiven gaben die Studienteilnehmer, die von ihrem Kinderwunsch wieder abgerückt waren, zwei Motive besonders häufig an: Jeweils 58 Prozent nannten Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft sowie die Angst vor möglichen Gesundheitsschäden während der Schwangerschaft. Micelli und ihre Kollegen sprechen von einem "alarmierenden" Verlust des allgemeinen Sicherheitsgefühls. Die Mehrheit der Befragten bewertete ihr Wohlbefinden vor der Pandemie als wesentlich höher als in den Wochen ab dem Ausbruch.

Studienkoautor Gianmartin Cito, ein Urologe der Universität Florenz, betont die entscheidende Rolle, die Ängste und Sorgen für die Familienplanung spielen. Und gerade in den 140 Befragten mit neuerwecktem Kinderwunsch sieht er dies besonders deutlich bestätigt – hätten diese Sorgen doch 134 von 140 davon abgehalten, ihren Wunsch auch in die Tat umzusetzen.

Einschränkungen

Zur Frage, wie repräsentativ die Erhebung war, ist zu sagen, dass die Teilnehmer mehrheitlich einen hohen Bildungsgrad hatten. Zudem gehörten beinahe zwei Drittel der Altersschicht über 30 an – was laut den Autoren aber auch dem Alter entspreche, in dem italienische Eltern am häufigsten ihr erstes Kind bekommen. Dass über 69 Prozent der Befragten nicht das Haus verlassen mussten, um arbeiten zu gehen, ist für das Gesamtbild ebenfalls zu beachten.

Micelli und ihre Kollegen bleiben bei den Schlussfolgerungen aus ihren Daten sehr vorsichtig. Und es ist auch erst eine Umfrage aus einem Land. Weitere Studien zum Thema werden aber unter Garantie folgen. (jdo, 9. 5. 2020)