"Ich weigere mich zu glauben, dass man alles absagen muss", sagt Veronika Kaup-Hasler zu geplanten Veranstaltungen im Sommer.

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STANDARD: Wir sind in Woche acht der Corona-Krise. Noch immer gibt es keine klaren oder praktikablen Regeln für den Kunst- und Kulturbereich. Hat die Regierung die Kulturschaffenden im Regen stehen gelassen?

Veronica Kaup-Hasler: Trotz einiger Maßnahmen muss man das in Summe leider feststellen. Die Regierung hat es bis dato verabsäumt, wesentliche gesellschaftliche Bereiche zu berücksichtigen. Das schmerzt sehr. Es müsste sofort ein Rettungsschirm für die gesamte Kunst- und Kulturlandschaft aufgespannt werden.

STANDARD: In der Schweiz hat man 286 Millionen Franken für die Kultur bereitgestellt.

Kaup-Hasler: Ja, dieser Betrag inkludiert auch den Einnahmenentfall bis Juni. Die türkis-grüne Regierung hat das ursprüngliche Epidemiegesetz ausgehebelt. Dieses hätte Gehaltsfortzahlungen und die Kompensation von Einnahmenentgängen vorgesehen. Die Regierung hat völlig falsch reagiert. Jetzt müssen die einzelnen Szenen und Institutionen getrennt für sich kämpfen. Sätze wie "Wir lassen niemanden zurück" entpuppen sich als rhetorisch, wenn keine adäquaten Maßnahmen erfolgen. In der Schweiz wird man das Paket noch erweitern, je nach Dauer der Krise, auch in den fragilen Zeitraum der Wiedereröffnungen hinein. Wir brauchen etwas Ähnliches für das Kulturland Österreich.

STANDARD: Die Kulturpolitik ist in den Händen von Staatssekretärin Ulrike Lunacek und Vizekanzler Werner Kogler. Fehlt da die Expertise?

Kaup-Hasler: Parteipolitisches Hickhack ist für mich uninteressant. Jetzt müssen geeignete und schnelle Maßnahmen gesetzt werden, die auf Kenntnis der Sachlage beruhen.

STANDARD: 20-Quadratmeter-Regelungen und fehlende Abstimmung mit den Museen gehören da wohl nicht dazu.

Kaup-Hasler: Diese Maßnahmen waren von tragischer Unkenntnis und mangelnder Vorbereitung gekennzeichnet. Die grüne Hälfte der Bundesregierung rückt derzeit weit von vielen ihrer Haltungen ab, bei der Frage, wie man mit Orbán umgeht, mit Flüchtlingen, mit der Medienförderung oder der Vermögenssteuer. Leider auch bei Kunst und Kultur.

STANDARD: Funktioniert der Dialog mit Lunacek?

Kaup-Hasler: Die persönliche Ebene ist von gegenseitiger Wertschätzung getragen. Ulrike Lunacek, die bisher nichts mit Kultur zu tun hatte, war erst kurze Zeit im Amt, als sich die für uns alle unglaubliche Herausforderung der Corona-Pandemie stellte. Leider hat sie die Museumsmaßnahmen unabgesprochen verkündet, und – was noch größeren Unmut hervorrief – es kam danach auch keine Verordnung, die ihre Ankündigung der Öffnung erst ermöglicht. Bis heute nicht.

STANDARD: Sie haben die ursprünglich angedachte Schließung der Bundesmuseen bis 1. Juli scharf kritisiert.

Kaup-Hasler: In einer ersten Reaktion haben die Bundesmuseen mit einem rein ökonomischen Denkmuster reagiert. Dabei muss – gerade in dieser Ausnahmesituation – die gesellschaftspolitische Aufgabe der Ausstellungshäuser im Mittelpunkt stehen. Hier zeigt sich das fatale Ende eines neoliberalen Diskurses, zu dem viele Institutionen in der Vergangenheit gedrängt wurden.

STANDARD: In den vergangenen zwei Wochen jagte ein runder Tisch im Ministerium den anderen. Auch Sie haben am Dienstag Kulturschaffende zu einem solchen geladen. Warum so spät?

Kaup-Hasler: Im Gegenteil, wir haben sehr schnell reagiert. Wir mussten schließlich lange auf die Verordnung des Bundes für die ersten Öffnungsschritte warten. Was wir gemacht haben, ist obendrein etwas völlig anderes. Das war kein runder Tisch, um die Klagen der Leute anzuhören, sondern es ging darum, Möglichkeiten unter den jetzigen Regelungen zu erarbeiten. Wir haben Experten aus Kultur und Medizin zusammengebracht.

STANDARD: Wie man gehört hat, wurden Lösungen wie Outdoor-Performances oder fahrende Bühnen angedacht. Indoor scheint man nicht weitergekommen zu sein.

Kaup-Hasler: Vieles war ernüchternd. Solange es kein Medikament gibt, werden wir mit dem Virus leben müssen. Das kann lange dauern. Indoor ist unbestritten ein schwieriger Bereich. Gute Durchlüftung und Feuchtigkeit sind ein entscheidender Faktor gegen die Verbreitung des Virus. Zu trockene Räume und zu geringe Lüftungsleistung sind ein Problem.

STANDARD: Was können Theater und Opernhäuser konkret tun?

Kaup-Hasler: Generelle Ansagen sind schwierig, jedes Gebäude hat eigene Erfordernisse. Ein mögliches Setting wäre, Menschen schachbrettartig zu setzen. Der 20-Quadratmeter-Regelung lag ja keine medizinische Notwendigkeit zugrunde. Das war eine politische Entscheidung. Aus Sicht der Experten ist nicht erklärbar, warum man zwar fliegen oder sich bald ins Restaurant setzen darf, aber nicht ins Konzert oder Theater gehen kann. Hier ist eindeutig politisches Desinteresse an einem zentralen gesellschaftlichen Bereich feststellbar.

STANDARD: Man hört, Sie halten sogar das Popfest für realisierbar.

Kaup-Hasler: Wenn, dann wird es mit dem Popfest anderer Jahre nicht viel zu tun haben. Im Volkspark am Laaer Berg gibt es zum Beispiel eine Bühne mit einer riesigen Wiesenfläche. Warum nicht dort spielen mit weit auseinander stehenden Menschen? Ich weigere mich zu glauben, dass man alles absagen muss. Man muss vieles anders denken und machen. Meine Anregung an Kulturveranstalter: Setzt euch schnellstmöglich mit den medizinischen Experten zusammen und erarbeitet Lösungen.

STANDARD: Sie klingen optimistisch, dabei wurden Festivals wie die Wiener Festwochen oder Impulstanz, die in Ihrer Zuständigkeit liegen, abgesagt.

Kaup-Hasler: Bei den Festwochen hätte das meiste Indoor stattgefunden, zudem ist das Festival sehr international. Auch vieles von Impulstanz wird nicht stattfinden, einiges aber schon. Es gibt ein wunderbares Konzept, wie man viele Veranstaltungen Outdoor in der Stadt realisieren kann. Wir werden einen ungewöhnlichen Kultursommer erleben, bei kluger Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen.

STANDARD: Um Kulturschaffende schnell zu unterstützen, bieten Sie Arbeitsstipendien an. In Oberösterreich setzt man auf eine Art Mindestsicherung, der Bund bietet als Soforthilfe den Härtefallfonds an. Warum dieser Fleckerlteppich, bei dem niemand durchblickt?

Kaup-Hasler: Ich kann nur für die Stadt Wien sprechen, und wir haben mit der Fortzahlung der Subventionen und der Einrichtung der Arbeitsstipendien schnell gehandelt. Viele Bundesländer haben diese Ideen aufgegriffen.

STANDARD: Die 3.000 Euro, die man kriegen kann, werden angesichts der unbestimmten Dauer der Krise nicht reichen.

Kaup-Hasler: Wir werden aller Voraussicht nach auch nicht mit den drei Millionen auskommen, mit denen der Stipendientopf gefüllt ist. Das ist eine temporäre Maßnahme, die zusätzlich zu den vom Bund in Aussicht gestellten Maßnahmen gedacht war. Aber es führt kein Weg drum herum: Wir müssen auf dem ursprünglichen Epidemiegesetz beharren, damit dieses Land bestmöglich durch diese Krise geführt wird. In der Kultur sprechen wir dabei österreichweit von einem dreistelligen Millionenbetrag.

STANDARD: Dreistelliger Millionenbetrag?

Kaup-Hasler: Ja, wir müssen auch die Kultureinrichtungen dazunehmen, die wir nicht fördern: die Kabarettszene, kleine Orchester, Unterhaltungstheater et cetera. Wenn wir kein völlig verändertes Land haben wollen, muss der Staat handeln und mehr Schulden machen. Ansonsten führen wir bald einen Verteilungskampf. (Stephan Hilpold, 8.5.2020)