Ohne deutsche Gäste steht Tirols Tourismusbranche im Regen. Das verdeutlicht, unabsichtlich, das aktuelle Sujet der Tirol Werbung, das heimische Urlauber ansprechen soll.

Foto: Tirol Werbung / Ramon Haindl

"Ein Wintertraum war es, wie im Märchenbuch", schwärmt Elli, Wirtin eines kleinen Berliner Lokals, und zeigt auf dem Smartphone: einen blitzblauen Himmel, verschneite Berge im Sonnenschein, Apfelstrudel und ihren Ehemann, der sich beim Snowboarden versucht.

Über Weihnachten und Silvester war das Paar am Tiroler Achensee, und dort würde es auch demnächst gerne wieder hinfahren. Denn: "Da muss es auch in der wärmeren Jahreszeit wunderschön sein." So ist es unbestreitbar – aber ob und wann die beiden wie viele, viele andere deutsche Touristen nach Österreich, im Speziellen in das so um die lieben Gäste buhlende Tirol kommen können, steht noch in den Sternen.

Noch versperren die Corona-bedingten Grenzschließungen den Eintritt ins gelobte Land. Sie gelten vorerst bis 31. Mai, die deutsche Reisewarnung für Österreich ist bis 15. Juni aufrecht. Dabei wartet man schon sehnsüchtig auf die Besucher aus dem Norden. Denn ohne sie geht es nicht, sie stellen die Hälfte der Sommerurlauber.

"Nur mit österreichischen Gästen geht sich das niemals für uns aus", sagt Karl Reiter. Er ist Chef im renommierten Posthotel in Achenkirch. Der Wellnesstempel gilt als einer der Leitbetriebe im Alpenraum. Seit dem plötzlich verordneten Stillstand Mitte März herrscht aber auch in Reiters Fünf-Sterne-Haus gespenstische Ruhe.

Ohne Grenzöffnung kein Geschäft

170 Mitarbeiter beschäftigt der Ganzjahresbetrieb am Achensee. "Momentan sind davon noch 45 in Kurzarbeit übrig", sagt Reiter. Sein ausländisches Stammpersonal, das nach dem Shutdown nicht nach Hause fahren wollte, darf weiter kostenfrei im Personalhaus wohnen. Wann es wieder Arbeit für alle geben wird, kann der Hotelier aber nicht sagen. Derzeit erstelle man einen Stufenplan zur Wiedereröffnung. Reiter hofft, am 18. Juni die ersten Gäste begrüßen zu können – sofern bis dahin die Grenze zu Deutschland wieder geöffnet wird.

Sie waren ja immer schon da, die Piefke, wie sie zunächst abfällig, mittlerweile aber auch liebevoll nach dem preußischen Militärmusiker Johann Gottfried Piefke genannt werden. Zwischen 1933 und 1936 verhängte Hitler eine 1000-Mark-Sperre, um den Deutschen den Urlaub in Österreich und den Österreichern die Tourismusbilanz zu vermiesen. Nach dem Krieg aber waren die Nachbarn nicht mehr zu halten und kamen mit wachsendem Wohlstand in Scharen.

Noch heute wissen die Piefke um ihre Macht als Bettenfüller der Ösis, die ihnen auf dem Weg an die Adria zuletzt Probleme machten. Erst im vergangenen Jahr rief Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seine Landsleute im Zuge des Transitstreits dazu auf, ihren Skiurlaub nicht mehr in Tirol zu verbringen.

Angesichts der Abhängigkeit vom Tourismus und damit von den deutschen Gästen, die 2019 satte 52,1 Prozent der insgesamt 49,6 Millionen Nächtigungen in Tirol ausmachten, kommt das einer Drohung gleich. Jeder dritte Euro wird hier direkt oder indirekt über den Fremdenverkehr verdient. 55.000 Menschen arbeiten in der Branche, die im Vorjahr 8,4 Milliarden Euro umgesetzt hat.

Spektakuläre Berge

Wenn die Politik den Touristikern nun "Urlaub im Inland" als Lösung verkauft, kostet das Hoteliers wie Karl Reiter höchstens ein müdes Lächeln: "Nur zehn Prozent unserer Gäste kommen aus Österreich." Angesichts von Kurzarbeit und steigenden Arbeitslosenzahlen rechnet er nicht damit, dass sich dieser Wert heuer erhöhen wird. Während Tirol bei internationalen Gästen führend ist und fast ein Drittel aller Sommerurlauber, die Österreich besuchen, beherbergt, rangiert es bei Inlandstouristen nur auf Platz sechs der beliebtesten Ferienbundesländer.

Warum aber lieben die Deutschen Tirol so? Sie könnten ja auch in Bayern urlauben, das meint natürlich Ministerpräsident Söder. Berge, kristallklare Seen, blumengeschmückte Balkone und ein deftiges Bradl findet man dort auch.

"Nach dieser Logik dürfte es eigentlich nur Binnen- und gar keinen Auslandstourismus geben", sagt Marius Mayer, aus Deutschland stammender Tourismusforscher an der Uni Innsbruck. Und viele assoziieren Bayern ja auch mit den Bergen. Aber, so Mayer: "Man vergisst oft, dass der bayerische Anteil der Alpen nur sehr klein ist. Das gesamte Bundesland hat eine Fläche von 70.000 Quadratkilometern, nur 4400 davon fallen auf den Alpenraum." Das ist in Tirol deutlich anders. Es gibt mehr Berge, sie sind höher und – die Bayern mögen es verzeihen – spektakulärer.

Ein bisschen anders

Doch Mayer weist noch auf einen anderen Aspekt hin: "Die Leute wollen im Urlaub etwas Neues sehen, aber nicht auf Gewohntes verzichten, da schneidet Österreich natürlich gut ab, nach dem Motto: Es ist fast wie zu Hause, aber ein bisschen anders." Sprache und Kultur sind ähnlich, obwohl man sich im Ausland aufhält.

Mayer sieht zudem in Tirol vielfältigere Angebote für Gäste: "Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus ist dort sehr viel größer als in Bayern. Touristische Projekte wie etwa eine Aussichtsplattform an einer Bergstation führen nicht gleich zu Grundsatzdiskussionen und Protesten."

Diese Allmacht des Tourismus hat die Branche womöglich mit in diese Krise geritten. Der Sündenfall Ischgl, wo sich mehr Deutsche mit dem Coronavirus infiziert haben, als insgesamt Tiroler positiv getestet wurden, hat der deutsch-österreichischen Liebe einen kräftigen Dämpfer versetzt. Noch laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, ob man den Tourismusbetrieb zu spät eingestellt hat und so die Gesundheit der Gäste wissentlich riskierte.

Zu wenige Platz für alle Deutschen

Die Hüter der Marke Tirol, Josef Margreiter von der Lebensraum Tirol Holding, und Florian Phleps von der Tirol Werbung sehen die Schuld für den entstandenen "erheblichen Imageschaden" allerdings bei den Medien und deren negativer Berichterstattung zu Ischgl. Marketingtechnisch wird bereits kräftig gegengesteuert.

Mit dem Slogan "Es geht bergauf" sollen vorerst Österreicher zum Tirol-Urlaub bewegt werden. Das Sujet eines verloren im verregneten Wald stehenden Wanderers, der offenbar schlecht ausgerüstet ist, entspricht dem Realismus, den die Tirol Werber gern abbilden. Ob die Botschaft ankommt, wird sich weisen. Sobald die Grenzen aufmachen, will man sich wieder dem wichtigsten Markt, Deutschland, widmen.

Tirol

Denn bleiben die deutschen Gäste diesen Sommer aus, sieht die Zukunft für viele Tiroler Tourismusbetriebe düster aus. Hotelier Reiter rechnet vor, warum: "Wir haben in den vergangenen Jahren rund 20 Millionen Euro in unser Haus investiert. Jährlich belaufen sich die Instandhaltungskosten auf 500.000 Euro. Unser Finanzplan dafür fußt auf 60.000 Nächtigungen." Die werde man heuer niemals erreichen. Ob und wann sich die Lage bessern wird, ist völlig offen. "Alles, was man uns an Hilfe angeboten hat, sind Garantien für Kredite und Steuerstundungen", sagt Reiter.

Auch Torsten Kirstges, Tourismusforscher an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven, hat Zweifel ob der Grenzschließungen: "Drei Viertel aller Deutschen machen normalerweise einen längeren Urlaub im Ausland, das sind bei 50 Millionen Menschen 650 Millionen Übernachtungen, die können nicht alle in Deutschland abgefangen werden." Schwarzwald, Alpen, Nord- und Ostsee seien ohnehin immer sehr gut gebucht, es wäre schlicht zu wenig Platz für alle Deutschen.

Mit Abstand Tirol kein Problem

Kirstges: "Wenn die Deutschen nicht nach Österreich reisen könnten, würde man das auf jeden Fall merken, es ist eine der wichtigsten Destinationen." Er findet, dass bei Einhaltung der Abstandsregeln es auch egal sei, "ob eine Familie mit dem Auto in die Ferienwohnung nach Tirol oder nach Bayern fährt".

Mittlerweile wird auch in Deutschland der Ruf nach dem Ende der Grenzschließungen lauter. Zwölf CDU-Bundestags- und Europaabgeordnete fordern in einem offenen Brief ein Ende der Schlagbäume und Gitterzäune im Herzen Europas.

Auf Tiroler Seite besingt man indes die deutsch-österreichische Freundschaft, auf dass die geliebten Piefke bald wiederkommen mögen. Die Tirol Werbung verpflichtete eigens 18 Musiker, um mit dem Lied I möcht mir nur bedanken die emotionale Verbundenheit zu besingen.

Der etwas patscherte Refrain "I möcht mi nur bedanken, bei die G’sunden, bei die Kranken, bei alle, die Verantwortung verstehen" erinnert allerdings an Felix Mitterers legendäre Piefke-Saga, wo der Tiroler Kinderchor zu Ehren der deutschen Gastfamilie Sattmann singt: "Sattmann, wir loben Dich, Sattmann, wir lieben Dich, du bringst uns Segen, du sollst hochleben, Arbeit und Glück kehren zurück." (Steffen Arora, Birgit Baumann, 9.5.2020)