Was passiert derzeit tatsächlich in der österreichischen, europäischen und globalen Wirtschaft? Warum trifft es so viele so hart?

Foto: Imago / Sascha Steinach

Das Coronavirus macht Angst, aber die wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen dagegen sind zumindest genauso erschreckend. Weite Teile der Wirtschaft stehen weltweit still, hunderte Millionen Menschen wurden in kürzester Zeit arbeitslos, und unzählige Unternehmen bangen um ihre Existenz. Inzwischen wachsen die Staatsschulden ungebremst in den Himmel. Das wirft zahlreiche Fragen auf, für die auch Ökonomen oft keine eindeutigen Antworten haben.

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1. Warum ist diese Krise so viel tiefer als frühere Wirtschaftskrisen?

Die Welt erlebt den stärksten Einbruch der Wirtschaft seit der Großen Depression vor bald einem Jahrhundert. Normalerweise folgen Krisen dem Muster fallender Dominosteine: Ein Teil der Weltwirtschaft, wie der Wohnungsmarkt in den USA, die Staatskassen eines Eurolandes oder Ölpreise erleben einen Schock und geben den an benachbarte Sektoren und Handelspartner weiter.

Wegen der raschen Ausbreitung des neuartigen Coronavirus mussten plötzlich alle großen Staaten ihre Bevölkerung isolieren. Die Wirtschaft wurde also von der Politik mit Absicht ins Koma versetzt – das gab es noch nie. Etlichen Branchen brachen die Kunden von heute auf morgen weg. So als ob eine große Hand alle Dominosteine auf einmal plattdrückte.

2. Warum gibt es so viele Arbeitslose, wenn die Wirtschaftsleistung wieder etwas kleiner wird?

Heruntergebrochen auf einen Wert von hundert: Heuer verdienen wir voraussichtlich nur 95 Euro, obwohl wir im Vorjahr noch auf 100 Euro kamen. Das wirkt nicht dramatisch. Aber statt 100 Arbeitslosen im Vorjahr waren im April 160 Personen arbeitslos gemeldet. Dass viele Menschen die Krise am Arbeitsmarkt als schlimmer wahrnehmen als den Einbruch der Wirtschaftsleistung, liegt daran, dass man sofort merkt, wenn viele Menschen ihren Job verlieren.

Wie kommt Österreich raus aus der Wirtschaftskrise nach Corona – wo soll der Staat investieren, wo sparen, bleibt genug Geld für Klimaschutz und Schulen? Darüber diskutierten Barbara Blaha (Momentum), Franz Schellhorn (Agenda Austria), Barbara Kolm (Nationalbank) und Johannes Wahlmüller (Global 2000) diese Woche bei "STANDARD mitreden".
DER STANDARD

Wie stark das BIP tatsächlich im April eingebrochen ist, wissen wir noch nicht genau. Und wenn man abschätzt, wie groß die Wirtschaftsleistung des ganzen Jahres sein wird, verwässert sich der tiefe Einschnitt während des Shutdowns.

Außerdem hat diese Krise vor allem Dienstleister wie den Tourismus und die Gastronomie erwischt. In diesen Sektoren gibt es besonders viele Mitarbeiter. Noch ein Faktor: Wenn ein Unternehmen knapp bei Kasse ist, muss es schon nach wenigen Wochen ohne Umsätze zusperren. Dann verlieren alle Mitarbeiter auf einmal den Job.

3. Wo bleibt das Geld, das derzeit nicht ausgegeben wird?

Wenn das Stammbeisl nichts ausschenkt, im Yogastudio die Matten aufgerollt und die Sitze im Kino leer bleiben, müssen die Österreicher ihr Geld woanders ausgeben oder sparen. Gewiss kauften die Menschen vermehrt Onlineserien, Germ und Klopapier. Aber die traurige Realität ist, dass wegen der Krise viele Einkommen geschrumpft sind. Denn die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen. Wird Geld nicht ausgegeben, wird jemand anderer ärmer.

Statt Geld zu horten, das man nicht ausgeben kann, müssen mehr Österreicher auf Erspartes zurückgreifen oder auf öffentliche Hilfe hoffen. Ökonomen erwarten daher, dass die Ersparnisse insgesamt schrumpfen. Wer doch Geld übrig hat, das er nicht wie gewohnt ausgeben konnte, lässt es auf dem Konto oder legt es etwa in Aktien an. Die Krise hat so manchen vorsichtiger gemacht. Immerhin will laut einer Gallup-Umfrage jeder zehnte Österreicher sein übrig gebliebenes Geld ansparen.

4. Kann der Staat die Wirtschaft so einfach, wie er sie heruntergefahren hat, auch neu starten?

Im Prinzip ja, aber nicht wirklich. Was klingt wie die Antwort in einem Radio-Eriwan-Witz, zeigt den Widerspruch zwischen gesetzlichen Möglichkeiten und ökonomischer Realität: Die Regierung konnte die Wirtschaft im Nu per Gesetz lahmlegen. Sie könnte ebenso schnell alle Beschränkungen wieder aufheben. Doch bis die Wirtschaft davon profitiert, dauert es länger. Denn insolvente Unternehmen werden nicht so schnell saniert oder ersetzt.

Gekündigte Arbeitskräfte müssen erst eine neue Stelle finden. Und nicht alle Konsumenten verfallen augenblicklich in einen Kaufrausch, sobald die Geschäfte wieder öffnen. Kommt hinzu, dass die Angst vor einer zweiten Corona-Welle und weiterhin bestehende Einschränkungen des Lebens auch auf die Wirtschaft drücken. Heimische Ökonomen gehen derzeit davon aus, dass Österreich erst in drei Jahren den Wohlstand von 2019 wieder erreicht.

5. Gehen alle Betriebe, die jetzt geschlossen sind, pleite?

Das hängt zunächst davon ab, wie hoch die laufenden Kosten wie Mieten oder Versicherungsprämien sind, ob diese gesenkt werden können, wie viele finanzielle Reserven ein Unternehmen hat und wie viel Hilfe es erhält. Ziel der vielen staatlichen Maßnahmen ist es ja, Insolvenzen zu vermeiden.

Mancher Betrieb kann sich auch mit dem Vermieter auf eine Stundung oder Aussetzung der Miete einigen, denn von einer Pleite hat dieser auch nichts. Bisher ist die große Insolvenzwelle nicht in Sicht. Wenn aber die Erholung lange auf sich warten lässt, ist eine Pleitenserie gewiss.

6. Was tut der Staat nun, um zu helfen?

In einer Krise kann der Staat drei Dinge tun: Erstens kann er Geld ausgeben. Das geschieht etwa, indem er teilweise Gehälter von Mitarbeitern übernimmt, Arbeitslosen mehr auszahlt, Kleinunternehmer unterstützt oder eine Fluglinie auffängt.

Zweitens kann der Staat den Menschen weniger Geld abnehmen. Das macht eine Regierung beispielsweise, wenn sie die Einkommenssteuer senkt. Außerdem dürfen krisengebeutelte Unternehmen ihre Steuern etwas später zahlen.

Drittens kann der Staat für Unternehmen bürgen, die sich Geld von der Bank ausborgen müssen. Insgesamt hat Österreichs Regierung schon 43 Milliarden Euro an Hilfen eingeplant.

7. Wie viel Geld kann Österreich denn jetzt ausgeben, ohne selbst insolvent zu werden?

Es gibt schon seit Jahren einen Überschuss an Sparvermögen in der Welt, das Staaten mit hoher Bonität leicht anzapfen können. Die Zinsen sind sogar negativ: Große Fonds zahlen dafür, der Republik Österreich Geld borgen zu dürfen. So gesehen gibt es keine Grenze für die Neuverschuldung im Kampf gegen die Krise.

Österreichs Schuldenstand soll heuer laut Prognose auf 78 Prozent des BIP steigen.
Illustration: Armin Karner

Österreichs Schuldenstand soll heuer laut Prognose auf 78 Prozent des BIP steigen. In Japan sind es 230 Prozent, und das Land hat beste Bonität. Allerdings müssen Investoren darauf vertrauen, dass der Staat nach der Krise zu einer soliden Budgetpolitik zurückkehrt und immer in der Lage sein wird, seine Zinsen zu bezahlen. Das heißt nicht, dass nach der Krise sofort gespart werden muss. Aber langfristig kann ein Staat nicht grenzenlos Geld ausgeben.

8. Ist der Euro wie nach der Finanzkrise in Gefahr?

Die Weltfinanzkrise hat nach 2008 einen massiven Verlust an Vertrauen in mehrere Eurostaaten mit hohen staatlichen oder privaten Schulden ausgelöst und damit den Zusammenhalt der Eurozone gefährdet. Dies wurde erst beendet, als sich die Europäische Zentralbank 2012 zur Unterstützung jener Staaten, "koste es, was es wolle", verpflichtete und so das Vertrauen wiederherstellte.

Leider gehören zwei der in Europa von der Pandemie am härtesten getroffenen Staaten zu jenen, die schon unter der Finanzkrise schwer gelitten haben. Dazu kommt Griechenland, das vom Ausbleiben der Touristen im Sommer hart getroffen sein wird.

Die Kriseninstrumente, die damals geschaffen wurden, kommen jetzt zum Einsatz, und auch die Banken sind heute weitaus stabiler als vor einem Jahrzehnt. Kurzfristig ist der Euro daher nicht in Gefahr. Aber wenn die Staaten im Süden in eine Depression rutschen und ihnen von den wirtschaftlichen stärkeren Partnern nicht genug geholfen wird, dann könnte dies die Eurozone tatsächlich zerreißen.

9. Wie schnell kann sich die Wirtschaft wieder erholen? Wovon hängt das ab?

Zu Beginn der Maßnahmen sagten manche Ökonomen einen sogenannten V-Verlauf für die Konjunktur voraus: ein massiver Absturz, gefolgt von einer raschen Erholung, wenn der Shutdown wieder endet. Doch danach schaut es derzeit nicht aus. Aus Angst vor einer zweiten Infektionswelle werden viele Beschränkungen bleiben. Eine Welle von Unternehmensinsolvenzen würde die Wirtschaft längere Zeit belasten.

Auch die Krise im Tourismus und die Schwäche der Weltkonjunktur drohen die Erholung in Österreich zu verzögern. Dennoch: Anders als in der Finanzkrise gibt es keine tieferen Strukturprobleme. Durch den richtigen Anschub, etwa massive öffentliche Investitionen oder ein Erstarken der Exportnachfrage, könnte die Wirtschaft wieder rasch wachsen. Zeitpunkt und Ausmaß sind auch eine Glücksfrage.

10. Was sind die möglichen langfristigen Folgen der Corona-Wirtschaftskrise?

Immer weniger Experten glauben, dass nach dem Sieg über das Virus alles wieder zum Alten zurückkehrt. Bleibt die weltweite Reiselust längere Zeit gedämpft, wird der gesamte Tourismus schrumpfen. Das dürfte vor allem die Kreuzfahrtschiffe und die Luftfahrt treffen, die schon wegen der Klimakrise eine unsichere Zukunft haben. Der Freihandel stand schon vor der Corona-Krise unter Druck.

Wenn viele Staaten es sich jetzt zum Ziel setzen, die Abhängigkeit von Importen zu verringern, könnte es zu einem harten Rückschlag für die Globalisierung kommen. Manche würden davon profitieren, die Entwicklungsländer am wenigsten, und die Welt insgesamt wäre ärmer.

Ob der Staat seine aktive Rolle nach der Krise beibehalten wird, ist offen. Selbst wenn dies Politiker und Bürger wünschen: Die hohen Schulden werden den Spielraum des Staates einengen. Das Wirtschaftssystem wird sich ändern, sagen viele voraus. Aber wie, weiß derzeit niemand. (Leopold Stefan, Eric Frey, 10.5.2020)