Die SPÖ stellt sich dar als ein bösartiger Erbschaftsstreit um ein einstmals großes Vermögen mit bis aufs Blut zerstrittenen, selbstzerstörerischen Familienmitgliedern. Die ÖVP stellt sich dar als ein cooles Takeover durch eine relativ kleine, ultradisziplinierte Überzeugungsgemeinschaft, die auf dem besten Weg ist, das ganze Land zu erben.

Kaum hatte die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner einen beachtlichen Erfolg bei der Mitgliederabstimmung selbst errungen, wurde von selbstzerstörerischen Großnichten und Großneffen am Rande der Parteifamilie die Legitimität des Abstimmungsvorganges infrage gestellt. Wieder taucht da die steirische Abgeordnete Michaela Grubesa auf, die schon dem damaligen Parteigeschäftsführer Drozda ihr ärgstes Schimpfwort entgegenschleuderte: "Thomas, du bist ein Bobo (bourgeoiser Bohemien)!"

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner.
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Der ÖVP ging es zeitweise so schlecht wie der SPÖ heute. Dann kamen Sebastian Kurz und eine kleine, verschworene Truppe, die wusste, was sie wollte: zuerst die ÖVP kapern, dann die verhassten "Sozialisten" loswerden und schließlich das Land mit einer neokonservativen, unauffällig, aber ultrakonsequent auf traditionelle Werte wie Vaterland, Familie und Leistung getrimmten Herrschaft zu überziehen.

Die SPÖ, einst die disziplinierteste unter allen politischen Bewegungen, wird von Richtungskämpfen geschüttelt. Die türkise ÖVP, einst ebenso zerrissen, drückt – mit wechselnden Koalitionspartnern von ganz rechts bis weit links – ihre Linie durch. Das liegt zu einem beträchtlichen Teil daran, dass das politische Talent Sebastian Kurz ein großes Talent hat: sich mit einer absolut loyalen, arbeitswütigen und zielstrebigen Mannschaft zu umgeben.

Bemerkenswertes Arbeitsethos

Der junge "Krone"-Journalist Klaus Knittelfelder hat in einem interessanten Buch ("Inside Türkis", Edition A) die nahezu unbekannten Zuarbeiter von Kurz porträtiert. Es entsteht ein klareres Bild von dem, was man schon wusste oder ahnte: Das sind sehr ideologische, sehr konservative, ziemlich katholische Leute mit einem sehr traditionellen Verständnis von Familie und einem bemerkenswerten Arbeitsethos. Sie sind, wie der Stratege Stefan Steiner oder der Kabinettschef Bernhard Bonelli, der auf eine Opus-Dei-Uni in Spanien ging, davon überzeugt, dass Österreich (wieder) gläubiger, "ordentlicher", traditioneller und "österreichischer" werden muss, auch in Hinsicht auf Migration und Islam. Sie alle eint eine beträchtliche Aversion gegen "Sozialismus". Das ist an sich nicht illegitim, aber wissen muss man es, wenn man sich vielleicht als Bürger fragt, wohin das Land jetzt geht.

Die SPÖ hingegen ist zugleich handwerklich schwach, das Gegenteil eines verschworenen Teams und vor allem uneins, was die grundsätzlichen Ziele betrifft. Die Flügelkämpfe um die "wahre Sozialdemokratie" ("Proletarier gegen Bobos", "strenge gegen liberale Migrationspolitik") ignorieren ja ein Faktum: Die Sozialdemokratie wird nur wieder groß werden, wenn sie erneut den großen Bogen von den schutzbedürftigen Benachteiligten über die sozialstaatlich gut Abgesicherten zu den neuen (Bildungs-)Aufsteigern schafft.

Dieses Kunststück wird nicht so bald jemand in der SPÖ zusammenbringen, und deshalb ist mit einer ziemlich langen türkisen Hegemonie zu rechnen. (Hans Rauscher, 8.5.2020)