Eines muss man vorweg neidlos anerkennen - an Steherqualitäten mangelt es der per Mitgliederabstimmung bestätigten SPÖ-Chefin nicht. Sie hat anscheinend kein Glaskinn, wie man es ihrem männlichen Vorgänger, um die Boxsprache zu strapazieren, nachsagte. Diese Zähigkeit, Disziplin und das damit verbundene Durchhaltevermögen wird sie, gepaart mit einer gewissen kognitiven Kapazität von ihrer Schulzeit, vermutlich als Einserschülerin, über ihr Medizinstudium bis hin zu den weiteren beruflichen Stationen in ihrer Genese mehrmals an den Tag gelegt haben.

Dass das Zeigen von Schwäche in einer männerdominierten Politlandschaft nicht von Vorteil ist, hat die Medizinerin höchstwahrscheinlich auch schnell gelernt. Immer versuchte sie trotz über- und unterschwelliger Attacken von wenig solidarischen Parteigenossen die Contenance zu wahren. Einzig nach der Verkündung der SPÖ internen Mitgliederumfrage entglitten der sonst so bemüht positiv wirkenden Spitzenfunktionärin die Gesichtszüge. Eine Mischung aus tiefer Genugtuung und einer Zentnerlast, welche ihr von den Schultern gefallen ist, war der Eindruck, der den geneigten Rezipienten ihrer Siegesrede überkam.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Das Ziel ist im Weg

Wirklich zuhause angekommen dürfte sie aber noch nicht sein. Die innere Befindlichkeitslage scheint in gewisser Dissonanz zur Außenperformance zu stehen, trotz aller Bemühungen entspannt und positiv zu wirken. Viele kennen den Spruch “Der Weg ist das Ziel“. Bei Pamela Rendi-Wagner hat man das Gefühl, dass ihr das Ziel eher im Weg steht. Etwas zu verkrampft will sie den Erfolg, wie sie ihn in anderen Lebensstationen bereits errungen hat, erneut erzielen. Auf kärntnerisch würde man ihr ein bisschen mehr “lei losn“ empfehlen. Dies mag von männlicher Perspektive, wo es oft um Wettkampf und ums Siegen geht, durchaus abgehoben und nahezu “mansplainerisch“ rüberkommen, ist aber bewusst nett gemeint.

Hier könnte man berechtigterweise einwenden, dass das Gegenteil von gut gemacht gut gemeint ist. Richtig ist jedoch, dass schon Kinder am besten in einer lockeren unverkrampften Atmosphäre durch intrinsischen Antrieb mit entsprechender extrinsischer Stimulation spielerisch lernen. Dieses spielerische Element des Lebens und die Unverbrauchtheit konnte sich einst Jörg Haider zunutze machen, als er damals mit einer Kleinpartei Schritt für Schritt die mächtige SPÖ-Bastion Kärnten eroberte. Von einem politischen Genie und einem einzigartigen Talent wurde von seinen Gegnern gesprochen. Alles Blödsinn, die Wahrheit ist oft viel einfacher. Haider hat das Kind in sich und seine Natürlichkeit nicht verloren und das wäre ebenso das Geheimrezept für die Führungsfigur der SPÖ. Selbst Sebastian Kurz konnte unbewusst erfolgreich dieses Kindchenschema bedienen und bis heute die Projektionsoberfläche für Zukunftshoffnungen darstellen.

Macht nur um der Macht willen

Macht um jeden Preis ist kein Programm. Macht bedeutet Verantwortung und ist in vielen Situationen eine gewaltige Bürde, wie es der jetzige Kanzler und die international erfahrenen Fast Thinker gerade zu spüren bekommen. Wer in seinem Leben nur bezugslos ohne tieferen inneren Antrieb Berufs- oder Leistungsstationen abarbeitet, wird nie den Lustgewinn der Identifikation mit dem gesamten Prozess der menschlichen Entwicklung hin zum Ziel erfahren. Das ist dann verständlicherweise sehr unbefriedigend - ein reines Stimulus- und Response-Dasein. Viel wichtiger als die Zielerreichung ist der damit verbundene Spieltrieb. In einer guten Liebesbeziehung (ebenso mit dem Wähler) gibt es eine Kennenlernphase, dann entwickeln sich erste zarte Gefühle und ein vorsichtiges Herantasten und erst irgendwann viel später kommt es zum Höhepunkt. Das gesamte Prozedere, von der Romantik bis zur praktischen Erotik macht das Spannende aus und nicht der reine Zeugungsakt (Kreuzerl am Wahltag). Vielerorts hört man die Floskel “Es kommt das Jahrzehnt der Sozialdemokratie“. Da stellt sich die Frage, ob das Jahrzehnt schon etwas davon weiß. (Daniel Witzeling, 20.5.2020)

Weitere Beiträge des Bloggers