Im Gastkommentar fragt sich der Blogger Markus Wilhelm, ob eine Kommission, die von jenen eingesetzt wird, deren Fehler sie untersuchen soll, die richtigen Fragen stellen kann. Für ihn ist klar: Das Management der Katastrophe war selbst eine.

Die Leute um Landeshauptmann Günther Platter, der sich im März im Landhaus eingeschlossen und wochenlang sogar dort geschlafen hat, sind offenbar in ihrer Bunkermentalität nicht fähig zu erkennen, welch verheerendes Zeichen es ist, wie sie die Einsetzung der seit langem geforderten "unabhängigen Untersuchungskommission" verzögern und deren Zusammensetzung hintertreiben.

Jeder Marketingexperte, außer eben jenem, von dem sich die schwarz-grüne ÖVP-Alleinregierung beraten lässt, hätte ihr verraten können, wie entscheidend rasches Handeln jetzt wäre, das heißt: gewesen wäre. Jeden Tag, und die Landtagsparteien haben einen konkreten Dringlichkeitsantrag zur Untersuchung des Tiroler Krisenmanagements betreffend Covid-19 seit geschlagenen drei Wochen vor sich liegen, jeden Tag, der seitdem vergangen ist, hat sich, vor allem für die außertirolischen nationalen und internationalen Medien, folgerichtig der Eindruck verstärkt, dass hier wohl ziemlich viel zu verbergen sein muss.

Ganz Tirol in der Bredouille: Eine Kommission soll den Behördenumgang mit den Infektionshotspots untersuchen.
Foto: APA / Jakob Gruber

Katastrophenmanagement

In diesem Zusammenhang ist auch mit größtem Erstaunen zu sehen, wie eine Destination wie Ischgl, die zig Millionen in die Marke investiert hat, sonst unsagbar gut ist im Setzen positiver Claims und als Kommunikationsweltmeister gilt, jetzt, in der Krise, bei prall gefüllten Kassen in Schockstarre verharrt und keinen Fuß auf den Boden kriegt. Wie provinzlerisch war und ist doch in diesen Wochen der Umgang mit den Medien, die man sonst ohne Ende mit Eventeinladungen, Wochenskipässen und Gratisaufenthalten zu catchen weiß.

Zum Dilettantismus, mit dem Platter & Co im März agiert haben – oder eben nicht oder viel zu spät –, gesellt sich nun der Dilettantismus bei der Aufklärung der Vorgänge. Während die grüne Landeshauptmannstellvertreterin komplett abgetaucht ist ("Entscheidungskompetent bin ich in dem Fall aber eigentlich gar nicht"), hat sich Platter selbst zum obersten Katastrophenmanager hochstilisiert, weil er irgendwo einmal gehört hat, in der Krise könnte man als Politiker sehr an Statur gewinnen. Nun, wohl nicht jeder. Es geht immer ums Ausgangsmaterial. Erst durch die gewollte Fokussierung auf ihn selbst, ihn, den Landeshauptmann von Tirol, hat er die recht lokalen Geschehnisse von Ischgl, Sölden, St. Anton zum Gesamttiroler Problem gemacht und vor allem werbetechnisch ganz Tirol in die Bredouille gebracht.

Es ist alles eine Sache des Personals. Ein gelernter Landgendarm als Landeshauptmann (Platter), ein studierter Elektrotechniker als Gesundheitslandesrat (Tilg), ein Unfallchirurg als Pandemieexperte (Schranz) und ein Pathologe als Landessanitätsdirektor (Katzgruber), mehr brauchst nimmer. Ein schwacher Chef sucht sich schwache Mitarbeiter, ein sehr schwacher noch schwächere. Jetzt hat sich’s übrigens zum ersten Mal bitter gerächt, welche Günstlinge per Ernennung durch den Landeshauptmann in die Bezirkshauptmannschaften gesetzt werden. Diese sind gut genug, bei Goldenen Hochzeiten mit den Jubilaren in deren Wohnzimmern zu posieren, aber im Falle einer Krise komplett überfordert.

Unabhängige Kommission?

Die ÖVP verlässt sich auf einen Schweizer Riskmanagement Consulter, der u. a. auch – ausgerechnet – für die Tirol Werbung und den Fachverband der Seilbahnen arbeitet. Da wollten dann auch noch die (oppositionellen?) Neos, deren Tiroler Obmann selbst Hotelier ist, einen Rechtsanwalt in die Kommission schicken, dessen Kanzlei sich in Magazinen den Skigebietsbetreibern offensiv anbietet ("Wir vertreten und beraten Seilbahnunternehmen").

Die Grünen haben sich gleich ganz aus der politischen Aufklärung genommen, indem sie die Zuständigkeit an eine Virologin aus Zürich abgegeben haben. Das Virus braucht aber hier nicht weiter untersucht zu werden. Es geht vielmehr um den Filz im Lande, der zu den tragischen Fehlentscheidungen und so folgenreichen Versäumnissen geführt hat. Diese unheilvollen innertirolischen Verflechtungen müssen entzerrt werden, den hinlänglich bekannten politisch-touristischen Komplex muss man sich vor allem anschauen. Und da können die bisher Genannten sehr wenig dazu beitragen.

Mit welchem Ernst wird die Expertenkommission an die Sache herangehen? Wird es ihr gelingen, den Scheinwerfer endlich, endlich vom Kitzloch wegzuschwenken und auf das Landhaus in Innsbruck zu richten? Was wird sie dürfen dürfen? Was nimmt sie sich heraus? Ist sie, wenn sie behindert wird, auch bereit, hinzuschmeißen? Fragen über Fragen. Wer stellt die richtigen?

Ein europaweit berühmtes SMS von Franz Hörl an einen Bar-Betreiber in Ischgl: "Wenn eine Kamera den Betrieb sieht, stehen wir Tiroler da wie ein Hottentotten-Staat." Siehe dazu auch SMS-Verkehr bringt Tiroler Seilbahner und Touristiker unter Druck.

Auch danach, welche Geschäfte Platter seinem engsten Freund Alois Schranz, der mit seinen Medalp-Kliniken am Ende der touristischen Verwertungskette steht, zugeschanzt hat, nachdem diesem die Skiunfallopfer weggebrochen sind. Oder auch danach, wie das Land allen Medien von der Tiroler Tageszeitung abwärts bis zur kleinsten Pimperlzeitung mit Hunderten ganzseitigen, komplett inhaltsfreien Werbeeinschaltungen jede kritische Berichterstattung ausgetrieben hat. Oder warum zwanzig Millionen Euro öffentlicher Gelder an "in Not geratene Arbeitnehmer" ausgerechnet über den von Platter gegründeten privaten Verein "Netzwerk Tirol hilft" ausbezahlt werden müssen. Oder warum der aktuellste Influenza-Pandemieplan des Landes mit dem Vermerk "offizielles Arbeitspapier in progess" vom Juni 2006 stammt. Und. Und. Und.

Wird es gelingen, die richtigen Leute vorzuladen, oder werden die privaten Seilbahnunternehmer sich darüber krummlachen? Wird sich Platter vor der Kommission bis auf die Unterhose ausziehen oder bestenfalls den obersten Hemdknopf öffnen? Werden der Kommission interne Mails, Verbindungsdaten von Handygesprächen, Whatsapp-Chats zur Verfügung stehen und auch SMS von der Sorte des europaweit berühmt gewordenen von Franz Hörl?

Wie gesagt: Fragen über Fragen. Werden sie auch gestellt werden? (Markus Wilhelm, 12.5.2020)