Therapie über Video funktionierte während des Lockdowns in der Beratungsstelle Hemayat problemlos und eignet sich auch für akute Situationen.

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Wien – Schuld an den Ängsten ihrer Klientinnen und Klienten in der ersten sieben Wochen der Corona-Krise seien "nur teilweise richtige oder falsche Informationen" gewesen, sagt Nora Ramirez Castillo von Hemayat, einer Betreuungs- und Therapieorganisation für Folter- und Kriegsüberlebende in Wien.

"Viele der Leute hatten das Gefühl, sie dürften überhaupt nicht mehr raus. Das hat sie in Richtung Retraumatisierung getrieben. Manche meinten, draußen herrsche Krieg, es würden Panzer auffahren oder über Wien seien Desinfektionsflugzeuge unterwegs", schildert die Psychologin.

Gefühle von Kontrollverlust

Belastende Erfahrungen von früher seien in den Menschen wiederbelebt worden, Erinnerungen an die Zeiten vor ihrer Flucht aus Syrien, Tschetschenien, Afghanistan – und an die dortigen fluchtauslösenden Ereignisse. "Das hat Gefühle von Hilflosigkeit, von Kontrollverlust und Sich-nicht-mehr-Auskennen ausgelöst."

Bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – einer seelischen Störung bei sonst gesunden Menschen, die durch überwältigendes Leid ausgelöst wird – könne das auch zu Flashbacks führen. Wenn das passiert, werden die traumaauslösenden Ereignisse gefühlsmäßig oder gar visuell von Neuem erlebt.

Therapie als Infoweitergabe

In diesen konkreten Situation, so Ramirez Castillo, hätten die während des Lockdowns fast ausschließlich per Telefon oder Video abgehaltenen Therapiestunden vor allem eine aufklärerische Funktion gehabt. Im Mittelpunkt sei Informationsweitergabe gestanden.

Zusätzlich habe man muttersprachliche Infoblätter produziert und auf die Hemayat-Homepage gestellt: "Wir müssen jetzt rasch ein neues Infoblatt herstellen mit den nicht mehr so strengen Kontaktregelungen ab 1. Mai sowie den weiteren Lockerungen", ruft sich die Psychologin in Erinnerung.

Belastung durch ÖIF-Info

Denn vom Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF), der für Asylberechtigte zum Beispiel Deutschkurse organisiert, sowie vom Innenministerium wurden die Hemayat-Klienten nur unzureichend informiert. Wie DER STANDARD berichtete, war Kursteilnehmern in Massen-SMS während der ersten, strengen, inzwischen beendeten Kontaktverbotsphase unterschlagen worden, dass es erlaubt war, das Haus auch abseits von Arbeits-, Arzt- und Einkaufswegen zu verlassen, etwa um allein oder mit Haushaltsangehörigen spazieren zu gehen.

Sie glaubten, unter strengem Ausgangsverbot zu stehen. "Man konnte den Eindruck haben, man wollte, dass diese Personengruppe zu Hause bleibt", kommentiert Ramirez Castillo. Ihren gegen ein Trauma ankämpfenden Klienten habe man damit keinen guten Dienst getan.

Noch sind die Therapieräume in der Beratungsstelle Hemayat leer – auch die großen, in denen ohne Coronavirus-Infektionsgefahr behandelt werden könnte.
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Gute Erfahrung mit Videotherapie

Als positiv schildern sie und Hemayat-Geschäftsführerin Cecilia Heiss die Erfahrungen mit der Telefon- oder Videotherapie. Es sei auf diese Art gelungen, 90 Prozent der allermeist dolmetscherunterstützten Behandlungen fortzusetzen. Einzelne Klienten sind sogar ins Hemayat-Büro gekommen, um von dort aus telefonisch oder am PC mit ihren Therapeutinnen zu sprechen; daheim, in organisierten Unterkünften oder kleinen Wohnungen, gebe es vielfach keinen PC, oder aber es fehlen die Rückzugsmöglichkeiten.

Inhaltlich funktioniere die Telefon- oder Videotherapie gut, vor allem wenn sich davor zwischen Therapeut und Klient bereits eine Beziehung etabliert habe, betont Ramirez Castillo. Dann sei es etwa möglich, auf bereits besprochene und angeeignete Entspannungstechniken zurückzugreifen, wenn negative Gefühle auftauchen.

Wieder Face-to-Face-Therapien

In den kommenden Wochen, so Heiss, wollte man bei Hemayat aber auch wieder mehr Face-to-Face-Therapien anbieten: "Von unseren acht Räumen sind laut den Hygienevorgaben vier von ihrer Größe her geeignet", sagt Heiss. Wobei: "Wichtig ist vor allem, dass sich Behandelnde und Behandelte wohl und sicher fühlen." Auch die Video- und Telefonstunden werde man daher fortsetzen, etwa wenn Klient oder Therapeut unter einem höheren Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs stehen.

Und Heiss hofft dringend auf eine Entspannung der Corona-Lage bis zum Herbst – aus Finanzgründen, die für die von öffentlichen Geldern, etwa der Stadt Wien, dem Innenministerium, EU-Unterstützung und Spenden Wien, lebende Einrichtung ein permanentes Problem darstellen: "Das Hemayat-Sommerfest mit Tombola, die uns alljährlich gute Einkünfte bringt, mussten wir absagen. Nun planen wir ein Fest im Oktober, mit aller Vorsicht." (Irene Brickner, 13.5.2020)