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Nach der überstandenen Mitgliederbefragung sieht sich SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner gestärkt – und will inhaltliche Akzente setzen.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Einen Widerspruch heraufbeschwören, wo keiner ist: Dieses zweifelhafte Kunststück hat die SPÖ zuwege gebracht. Er sei sehr unglücklich mit dem Ruf nach einer 30-Stunden-Woche, klagte Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil unlängst und propagierte ein vermeintliches Gegenmodell: einen höheren Mindestlohn.

Dabei handelt es sich um zwei klassisch sozialdemokratische Forderungen, die offizielle Parteiziele sind. Welche Erwartungen knüpfen sich an diese Ideen, die nun eine Renaissance feiern?

Die Profiteure

Der Mindestlohn von 1.700 Euro brutto, wie ihn Bundes-SPÖ und Gewerkschaft fordern, ist ein Minderheitenprogramm. Laut ÖGB liegen 400.000 Arbeitnehmer – auf Vollzeitgehälter hochgerechnet – unter diesem Limit, das sind knapp acht Prozent der Beschäftigten. Die einst ebenfalls umstrittene Untergrenze von 1.500 Euro sei in den Kollektivverträgen übrigens mittlerweile flächendeckend eingezogen.

Eine gesetzlich verfügte Arbeitszeitverkürzung hingegen spüren per se alle Arbeitnehmer. Derzeit beträgt die Normalarbeitszeit 40 Stunden. Manche Kollektivverträge sehen ein niedrigeres Pensum vor, keiner aber bloß 30 Stunden. Zwar arbeiten zehn Prozent der Männer und fast 50 Prozent der Frauen Teilzeit, doch auch die profitieren selbst dann, wenn sie unter den 30 Stunden liegen: Weil sich das Grundgehalt an geringerer Arbeitszeit bemessen würde, ergäbe sich für Teilzeitbeschäftigte eine Lohnerhöhung.

Die Hoffnungen

Was ein Mindestlohn bringen kann, lässt sich in Deutschland beobachten. Das 2015 eingeführte Minimum von 8,50 Euro pro Stunde brachte den betroffenen Beschäftigten laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) im Schnitt ein Lohnplus von zehn Prozent, egal ob nach Monat oder Stunden gerechnet. Die Leute seien deshalb zwar nicht engagierter und produktiver, aber allemal zufriedener mit dem Job.

Den von Gegnern prophezeiten Beschäftigungseinbruch haben die IAB-Forscher nicht festgestellt. Offenbar hatten Unternehmen ihre Marktmacht ausgenutzt, um Löhne zu drücken, der Mindestlohn sorge nun für mehr Fairness. Weiterer Effekt: Ein Teil der Niedriglohnbeschäftigten wechselte in Betriebe, die mehr qualifizierte, besser entlohnte Vollzeitjobs anbieten – ein Gewinn für die gesamte Wirtschaft. Eine Erklärung dafür lautet, dass der Mindestlohn jene Firmen, die nur dank Billigkräften überleben, aus dem Markt dränge.

Noch ein Pro-Argument: Weil Niedrigverdiener zusätzliches Einkommen zum Gutteil wieder ausgeben, stärke der Mindestlohn den Konsum besonders – genau das, was die nach dem Lockdown angeschlagene Wirtschaft brauche.

Die Vorteile der 30-Stunden-Woche hingegen siedelt Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer (AK), in erster Linie auf der immateriellen Ebene an, und genau damit wirbt auch die SPÖ. Zauberformel: acht Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit, zehn Stunden Freizeit.

Abgesehen vom entspannteren Leben für Werktätige erwartet Marterbauer einen Schub für die Gleichberechtigung. In Österreich ist es nach wie vor gang und gäbe, dass die Männer voll im Berufsleben stehen, während Frauen nur Teilzeit arbeiten, weil sie auch Kinder und Haushalt schupfen. Sind die Männer dank Arbeitszeitverkürzung öfter daheim, könnten die Frauen ihre Arbeitsstunden hinaufschrauben.

Mit einem großen Jobwunder, weil gleich viel Arbeit auf mehr Köpfe verteilt werde, rechnet Marterbauer jedoch nicht, wiewohl es auch da positive Einschätzungen gibt. Eine vom Linzer Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften publizierte Untersuchung kommt nach Analyse diverser Studien zum Modellfall Frankreich zum Schluss, dass die im Jahr 2000 eingeführte 35-Stunden-Woche die Beschäftigung sehr wohl markant angekurbelt habe.

Die Einwände

Auch Unternehmervertreter nennen das Beispiel Frankreich – im negativen Sinn. Während die Befürworter die dort höhere Arbeitslosigkeit mit anderen Faktoren erklären, führen die Gegner den Rückstand auf die Arbeitszeitverkürzung zurück.

Weil eine Verkürzung bei vollem Lohnausgleich die Personalkosten erhöhe, müssten die Unternehmern Jobs streichen, warnt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV); die dank geringeren Arbeitsumfangs gestiegene Produktivität werde dieses Plus nicht voll kompensieren. Und wenn die Gewerkschaften – wie in der Vergangenheit üblich – in den Jahren darauf zum Ausgleich moderate Lohnsteigerungen akzeptieren, sodass Wohlstandsgewinn eben in Form von mehr Freizeit statt Einkommen konsumiert wird? Dann schwäche dies Kaufkraft und Nachfrage, erwidert Helmenstein – keine gute Idee nach einem Wirtschaftseinbruch.

Die Krise dient auch als Argument gegen den Mindestlohn. Die 1.700-Euro-Untergrenze würde mit Gastronomie, Hotellerie und Handel ebenjene Branchen schwer belasten, die ohnehin arg gebeutelt sind. Das Vorbild Deutschland beeindruckt Helmenstein nicht: "Da herrschte bei Einführung des Mindestlohns Hochkonjunktur und Arbeitskräftemangel." Darauf weist auch die IAB-Analyse hin: Die positive Bilanz gelte nicht automatisch für Zeiten der Wirtschaftsflaute.

Die Chancen

Die Erfahrungen machen nicht eben Mut: SPÖ-Chefin Rendi-Wagner hat die Ansprüche bei der Arbeitszeitverkürzung zwar jüngst auf 35 Stunden gedämpft, doch auch dafür kämpft der ÖGB seit 40 Jahren vergeblich gegen den Widerstand der Arbeitgebervertreter. Denkbar scheinen nur kleine Schritte, etwa eine leichter erreichbare sechste Urlaubswoche.

Wegen der kleineren Zielgruppe liegt ein in den Kollektivverträgen verankerter Mindestlohn näher – sofern 1.700 Euro brutto gemeint sind und nicht, wie von Doskozil propagiert, netto. Denn das wären 2.400 Euro brutto, zu denen noch Welten fehlen. (Gerald John, 14.5.2020)