Ingrid Pabinger-Fasching ist Professorin für Hämostaseologie an der Medizinischen Universität Wien und stellvertretende Leiterin der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie sowie Leiterin der Gerinnungsambulanz am AKH Wien.

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Wenn sich in den Blutgefäßen Gerinnsel bilden und wichtige Blutgefäße blockieren, spricht man von Thrombosen.

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Die akute Phase der Covid-19-Pandemie ist vorbei. In allen Krankenhäusern und Covid-19-Stationen werden derzeit die Erfahrungen der vergangenen Wochen ausgewertet, um die Infektion, den Krankheitsverlauf und mögliche Risiken besser zu verstehen. Die neuen Erkenntnisse werden in medizinischen Fachjournalen publiziert, wo sie zuvor von einer Fachjury streng nach Relevanz beurteilt worden waren. Auf diese Weise ergibt sich gesichertes Wissen, das von anderen Ärzten in der Behandlung berücksichtigt werden kann.

STANDARD: Nach der Publikation von zwei Studien mehren sich die Hinweise darauf, dass Patienten mit Covid-19 dazu neigen, Blutgerinnsel zu bilden und diese zu Embolien, also dem Verschluss von Blutgefäßen, führen können. Sie sind Expertin auf diesem Fachgebiet. Wie beurteilen Sie dieses neue Wissen?

Pabinger-Fasching: Vielleicht vorneweg: Das erstaunt mich nicht. Die beiden Studien, eine aus den Niederlanden, die andere aus China, zeigen, dass circa 25 Prozent aller Patienten mit einem sehr schweren Verlauf der Covid-19-Erkrankung Thrombosen beziehungsweise Embolien aufwiesen. Die Betonung liegt allerdings auf schwerkrank, also ein Zustand, in dem der Organismus wirklich schon sehr angeschlagen ist. Das wirkt sich auf die Blutgerinnung aus. Wir kennen das auch von Krebs- oder Sepsispatienten, deren Allgemeinzustand sehr geschwächt ist.

STANDARD: Was genau passiert da im Körper?

Pabinger-Fasching: Das Gerinnungssystem hat den Zweck, Wunden wieder zu verschließen und damit vor Blutungen zu schützen. Damit das funktioniert, gibt es eine Kaskade an sogenannten Gerinnungsfaktoren, die diese Aufgabe übernehmen. Bei Personen mit Covid-19-Erkrankung ist das Gerinnungssystem deutlich stärker aktiviert und die Gerinnungsneigung des Blutes erhöht.

STANDARD: Wie misst man eine Gerinnungsaktivierung?

Pabinger-Fasching: Man kann im Blut die D-Dimere messen, die Spaltprodukte von Fibrin sind. Und Fibrin ist bei der Entstehung von Blutgerinnseln beteiligt. Man hat sie bei Covid-Patienten auch im Ultraschall oder auf Computer-Tomografie-Bildern gesehen, in den Beinen oder der Lunge.

STANDARD: Ist das bei allen viralen Infektionen so?

Pabinger-Fasching: Aus jetziger Sicht ist die Erhöhung der D-Dimere bei der Covid-19-Erkrankung höher als bei anderen schweren Erkrankungen mit viralen Ursachen. Allerdings ist es einfach noch zu früh, um hier Vergleiche ziehen zu können.

STANDARD: Sars-CoV-2 dockt an den ACE-2-Rezeptoren an, die es in vielen Stellen des Körpers gibt, etwa in Nase und Rachen, aber auch in der Lunge oder im Bauch. Es mehren sich Hinweise darauf, dass das Virus sich auch im Inneren der Blutbahnen an den Endothelzellen festsetzt. Halten Sie das für plausibel?

Pabinger-Fasching: Das ist eine Hypothese, die allerdings erst noch bewiesen werden muss, sie ist aber plausibel. Eine Verletzung der Endothelzellen, die die innere Auskleidung der Blutgefäße darstellen, führt zu einer Freisetzung von Gerinnungsfaktoren und Aktivierung in den Blutgefäßen. Eine wichtige Rolle scheinen auch die weißen Blutkörperchen (Leukozyten), die gegen Viren, Bakterien und Pilze losziehen, zu spielen. In einer akuten Situation werfen sie – bildlich gesprochen – ein Netz über die pathogenen Keime, um diese zu neutralisieren. Das kann in Zusammenhang mit dem vermuteten Zytokinsturm und auch einer Überreaktion der Leukozyten stehen. Massivste Entzündungsprozesse können schließlich zum Versagen der Lunge und anderer Organe und schließlich zum Tod führen.

STANDARD: Thrombosen, also Blutgerinnsel, wurden letztendlich ja auch als Todesursache bei Covid-19 festgestellt.

Pabinger-Fasching: Der Anteil an Lungenembolien war sogar sehr hoch. Oft waren sie im Vorfeld auch gar nicht festgestellt worden, zeigt die Arbeit von Hamburger Pathologen. Allerdings: Eine Thrombose ist immer auch ein Zeichen für eine fortgeschrittene Erkrankung und nicht spezifisch für Covid-19. Auch Krebs- oder Sepsispatienten sterben letztendlich oft an Embolien.

STANDARD: Müssen sich all jene, die eine Covid-Erkrankung überlebt haben, Sorgen über Thrombosen machen?

Pabinger-Fasching: Nein. Wenn eine Infektion vorbei ist, dann normalisiert sich auch die Blutgerinnung wieder.

STANDARD: Was bedeuten die neuen Erkenntnisse für alle nicht schweren Fälle, also für Patienten, die die Erkrankung zu Hause durchmachen?

Pabinger-Fasching: Die neuen Erkenntnisse beziehen sich auf die schweren Covid-19- Verläufe. Die Blutgerinnung wurde bei den Patienten, die die Erkrankung zu Hause durchgemacht haben, noch nicht untersucht. Ich nehme aber an, dass bei diesen Infizierten in den allermeisten Fällen die Gerinnung viel weniger aktiviert ist und alles problemlos verläuft. Denn eine Thrombose, also der Verschluss eines Gefäßes durch ein Blutgerinnsel, macht sich meist bemerkbar.

STANDARD: Wie?

Pabinger-Fasching: Eine Beinvenenthrombose macht sich durch Schmerz, Verfärbung oder eine Schwellung des Beins bemerkbar, meist einseitig. Eine Lungenthrombose wiederum kündigt sich durch Atemnot an. Bei solchen Anzeichen müssen die Patienten immer einen Arzt oder die Rettung rufen. Das sollte auch bei einer Sars-CoV-2-Infektion so sein. Ich bin sicher, dass die Allgemeinmediziner verstärkt auf diese Symptome achten werden. Thrombosen und Embolien sind gut behandelbar und enden keineswegs immer tödlich. Im Gegenteil: Die meisten überleben sie.

STANDARD: Was wird sich durch die neuen Erkenntnisse ändern?

Pabinger-Fasching: Covid-19-Patienten im Spital bekommen eine Prophylaxe, das passiert auch jetzt schon. Bei sehr schwer kranken Patienten auf der Intensivstation wird oft die Dosis erhöht. Manche Berichte weisen darauf hin, dass dies sogar den allgemeinen Krankheitsverlauf verbessert. Die Medikamente hemmen die Blutgerinnung und verhindern dadurch die Thromboseentstehung. Sehr viele ältere Menschen nehmen Gerinnungshemmer allerdings ohnehin regelmäßig, weil sie schon eine Thrombose oder Embolie hatten oder eine Herzrhythmusstörung besteht. Dazu gehören Medikamente wie Marcoumar, Sintrom, Heparine oder auch Xarelto, Pradaxa, Eliquis oder Lixiana. Diese Personen brauchen auf keinen Fall eine zusätzliche Behandlung.

STANDARD: Was ist mit den Risikogruppen?

Pabinger-Fasching: Zu überlegen ist, ob Risikopatienten, die an Covid-19 erkrankt, aber zu Hause sind und keine Gerinnungshemmer einnehmen, auch vorsorglich mit einer Prophylaxe versorgt werden sollten. Das entscheidet der Hausarzt dann individuell nach Risikoprofil, Schwere der Erkrankung und möglicher Gefahr von Blutungen. (Karin Pollack, 14.5.2020)