Cinelytic glaubte noch vor Erscheinen des Films an den Erfolg von "Joker".

Foto: APA / Warner Bros

Tobias Queisser, Gründer von Cinelytic.

Foto: Cinelytic

In Hollywood stehen die Studios still. Der Corona-bedingte Shutdown trifft die Film- und Serienbranche im Innersten. Weder ist bekannt, wann die Arbeit an Produktionen wiederaufgenommen werden kann, noch, unter welchen Umständen dies passieren wird. Es drohen strenge Auflagen mit Isolation und getrennten Aufnahmeteams und letztlich höhere Kosten. Filme zu drehen könnte in Zukunft jedenfalls empfindlich teurer werden. Schlecht für die Branche, aber gut für Tobias Queisser. Der Deutsche hat eine Software entwickelt, mit der er die Erfolgschancen von Filmen und Serien voraussagen kann. Bei der C-tv-Tagung der Sankt Pöltner Fachhochschule war Queisser am Mittwoch einer der zugeschalteten Experten.

"Wir wollen Filmfirmen helfen, geschäftlich erfolgreich zu sein", sagt Queisser. Über seine Onlineplattform Cinelytic können Kunden eine Software abonnieren und Prognosen über das Potenzial und die Risiken von Filmprojekten erstellen. Mit seinem Angebot arbeiten bereits große Studios wie Warner und Sony.

Nasa-Risikobewertungssoftware lieferte die Vorlage

Die Plattform gründete der gebürtige Münchner in Los Angeles mit seinem Partner Dev Sen, der bei der Nasa 15 Jahre lang eine Risikobewertungssoftware für die Analyse von Trägerraketen und Raumfahrzeugen entwickelte. Film- und Serienproduktionen seien ein riskantes Geschäft, sagt Queisser, der selbst vom Film kommt: "Bis man endgültig weiß, wie viel der Film eingespielt hat, dauert es fünf Jahre." Umso mehr verwunderte ihn, dass ausgerechnet in dieser Branche "Daten bislang nicht so stark eingesetzt wurden".

Die Software arbeitet mit künstlicher Intelligenz und verwertet Daten aus mehr als 90.000 Filmen. Sie gewichtet Faktoren wie Cast, Crew, Genre, erkennt daraus Muster und erstellt eine Finanzprognose. An den Parametern können Kunden beliebig drehen und so eine maßgeschneiderte Kalkulation erstellen: Investiere ich mehr in Schauspieler, weil sie mir in meinem Projekt wichtiger sind? Oder mache ich mehr Geld für Effekte locker? "Innerhalb von 20 Minuten kann man das komplette Projekt analysieren", sagt Queisser. Den Preis hält er je nach Angebotsumfang flexibel, beginnend im "niedrigen fünfstelligen Bereich".

"Joker" positiv bewertet

Als Beispiel für die Verlässlichkeit seines Angebots nennt der Münchner Joker, den erfolgreichsten Film aller Zeiten: "Der Film war anfangs ein durchaus riskantes Unterfangen: sehr düster, die Hauptfigur ein Bösewicht. Die Bewertungen waren kritisch. Es war nicht einfach zu berechnen." Die Cinelytic-Software lieferte noch vor Erscheinen des Films eine weitaus optimistischere Prognose. Bei Filmen wie The Secret Life of Pets, What Men Want, Shazam! und Once Upon a Time in Hollywood deckte sich die Prognose zu mehr als 95 Prozent mit dem tatsächlichen Erlös.

Derzeit arbeiten Queisser und sein Team an einer Software für Serien. Diese müsse mit anderen Einflussfaktoren rechnen. Streaminganbieter schweigen sich über Abrufzahlen aus, konkrete Erlöszahlen aus Kinobesuchen fallen ebenso weg. Als verlässliche Größe bestimmten Queisser und sein Team unter anderem illegale Downloads. Täglich werden dafür 120 Millionen Daten aus der ganzen Welt erfasst.

Schon vor Corona scheute die Film- und Serienbranche das Risiko. Seit dem Ende der DVD müssen Produktionsfirmen empfindliche Umsatzeinbußen hinnehmen. Lagen die Umsätze aus DVDs 2010 noch bei 16 Milliarden Dollar, waren es zuletzt nur noch vier Milliarden. Gleichzeitig werden immer mehr Filme produziert.

Ältere Schauspieler nach Corona aus Drehbüchern schreiben

Nach der Corona-Krise dürfte das Kostenbewusstsein der Produzenten noch mehr steigen. Es ist zwar nicht zu erwarten, dass Millionen Dollar schwere Produktionen plötzlich auf die Hälfte ihres Budgets heruntergekürzt werden, aber ein Abwägen dürfte stattfinden, erwartet auch Queisser. So sorgt man sich etwa in der Branche, ob in Zukunft weniger Rollen für ältere Menschen geschrieben werden, weil diese zur Corona-Risikogruppe gehören. Noch schlagen solche Schauspieler in Queissers Software nicht zu Buche. Der Grund: "Es gibt dazu noch keine Daten." Über Schauspielerversicherungen könnte an solche heranzukommen sein, vermutet er.

Dass Produktionsfirmen durch diese Art der digitalen Vermessung der Filmwelt noch mehr als jetzt auf Prequels, Sequels, Remakes und Comicverfilmungen setzen, glaubt Queisser nicht, ganz im Gegenteil: "Das Schöne an einem von künstlicher Intelligenz beschrittenen Weg der Analyse ist, dass man Prototyping betreiben kann, was Originalinhalten förderlich ist."

Transparentere Systeme

Produzenten von Independent-Filmen könnten so besser Risikofaktoren abwägen. "Nur drei bis vier Prozent dieser Filme rechnen sich. Da setzen wir an und bieten mit unserem System deutlich mehr Transparenz."

Soll das heißen, dass wir irgendwann die Superheldenschwemme überstanden haben? Queisser ist optimistisch: "Originale Inhalte werden wieder stärker in den Fokus rücken", ist er überzeugt. Mit seiner Software will er jedenfalls dazu beitragen. (Doris Priesching, 14.5.2020)