Experiment.

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Der Notfall-Neustart wird zum heikelsten Experiment der deutschen Bundesliga-Geschichte. Begleitet von beißender Kritik und vielen Zweifeln stellt die Deutsche Fußball Liga (DFL) am Donnerstag die letzten Weichen für den Corona-Spielbetrieb – und auch schon für den Fall des Saisonabbruchs.

Beim gewagten Wiederanpfiff der 1. und 2. Liga am Samstag steht für den deutschen Profifußball enorm viel auf dem Spiel: Millionen-Summen und sogar die wirtschaftliche Existenz einiger Clubs, aber auch der schon beschädigte Ruf der Branche und nicht zuletzt die Gesundheit der Beteiligten am Geister-Schauspiel.

Randnotiz Sport

Wenn am Wochenende der Ball in leeren Arenen wieder rollt und die Fans sich nicht einmal vor dem Fernseher zum gemeinsamen Schauen versammeln dürfen, gerät das Sportliche eher zur Randnotiz – auch wenn großes internationales Interesse beim Neustart der ersten Top-Sportliga weltweit gewiss ist. Es gehe schlicht um "den Fortbestand der Ligen in ihrer jetzigen Form", versicherte DFL-Chef Christian Seifert. Als Krisenmanager steuert der 51-Jährige die Bundesliga in einen "absoluten Notbetrieb", wie er dem ZDF sagte. Unermüdlich betont er: "Jedem in der Liga muss klar sein: Wir spielen auf Bewährung."

Deswegen müsse man auch auf einen Saisonabbruch vorbereitet sein. Die Mitgliederversammlung soll deshalb am Donnerstag beschließen, dass für dieses Worst-Case-Szenario aus rechtlichen Gründen der dann aktuelle Tabellenstand gewertet würde. Damit könnte ein Meister gekrönt werden, es gäbe jeweils zwei feste Absteiger und keine Aufstockung der Ligen. "Nochmal: Dieses Szenario ist höchst unwahrscheinlich, sollte aber auch geregelt sein. Ich bin überzeugt, dass alle Clubs diesem Vorschlag zustimmen", sagte der DFL-Aufsichtsratschef Peter Peters am Mittwoch.

Konzept

Verhindern soll dieses Szenario das Konzept zum Sonderspielbetrieb, das die DFL jetzt auch als Anhang in die Spielordnung aufnehmen will. Die 51 Seiten mit Notmaßnahmen und Handlungsanweisungen hatten am Ende auch die Politik zur umstrittenen Freigabe für die Fortsetzung der Saison bewogen. "Ein bisschen Bauchgrummeln hat jeder dabei. Die Öffentlichkeit wird genau hinschauen", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der wohl einer der Wegbereiter für die Zustimmung von Bund und Ländern war.

Der Beifall und die Vorfreude halten sich in Grenzen. Der Entertainer Jan Böhmermann brachte es bei Twitter auf die drastische Formel: "Fickt Eure verschissene Bundesligasaison!" Mehr als 34.000 Menschen klickten binnen weniger Stunden auf "Gefällt mir". In Umfragen sind die Befürworter eines Liga-Wiederbeginns unter den aktuellen Umständen in der Minderheit.

Warnung

Der SPD-Parteivize Kevin Kühnert warnte bei Sport1 die Liga-Bosse: "Das ist kommunikativ neben den organisatorischen Fragen etwas, was nach hinten losgehen kann, und wodurch die Debatte befeuert wird, ob der Fußball in Deutschland Sonderrechte genießt." Dass derzeit am Fußball-Stammtisch neben Politikern auch Virologen und Ökonomen das Wort führen, ist Beweis für die schmerzhafte Zwickmühle der Liga.

"Wir wollen und werden unserer Verantwortung gerecht werden", versprach Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern. Doch das Skandal-Video von Hertha-Profi Salomon Kalou, der in der Berliner Kabine Hygiene- und Abstandsregeln kichernd missachtete, und die Coronafälle, die das gesamte Team des Zweitliga-Schlusslichts Dynamo Dresden in die Quarantäne zwangen, nährten die Bedenken. Ob Bundesliga und Unterhaus wirklich Ende Juni die Saison abschließen und dann auch Relegation und Pokalfinale wie geplant die letzten Entscheidungen bringen, bleibt fraglich.

"Das Konzept steht auf tönernen Füßen", gestand Sportchef Max Eberl von Borussia Mönchengladbach. Der sportliche Wert des Restarts angesichts knapper Vorbereitung und die womöglich fehlende Chancengleichheit werden überlagert vom Wunsch nach der Rettung der ausstehenden Fernseh- und Sponsorengelder. "Wenn die Bundesliga als einzige große Liga rund um den Globus im TV übertragen wird, dann gehe ich davon aus, dass wir ein Milliardenpublikum haben werden", sagte Bayern-Chef Rummenigge der "Sport Bild".

Endspurt

Und Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke erklärte: "Die Bundesliga so lange ruhen zu lassen, bis wieder Zuschauer in die Stadien dürfen, wäre für die Vereine wirtschaftlich allerdings nicht durchzuhalten gewesen." Der Boss des einzigen börsennotierten Bundesligisten schaut indes nicht allein auf die Kassenlage, sondern hofft dazu noch auf den Titelgewinn im Saisonendspurt.

Vier Punkte liegt der BVB hinter dem Tabellenführer aus München, zum Auftakt des 26. Runde wartet der Revier-Klassiker gegen den FC Schalke 04. Es werde das "ungewöhnlichste Derby der Geschichte", sagte Dortmunds Lizenzspielerchef Sebastian Kehl der "Welt". Kein gemeinsamer Torjubel, Trainer mit Masken, Abstand halten zumindest auf der Ersatzbank – und keine "Gelbe Wand" mit 25.000 BVB-Fans. (APA, 13.5.2020)