Kommenden Sonntag feiert Valie Export ihren 80. Geburtstags.
Foto: Berlinale 2018 / Heinrich Völkel

Mit ihren radikalen Aktionen wurde Valie Export, die 1940 als Waltraud Lehner in Linz geboren wurde, zur Ikone der feministischen Avantgarde in Österreich. 1960 ging sie nach Wien und begann konzeptionell mit Fotografie und Video zu arbeiten. Heute gilt sie als Pionierin der Medienkunst. Anlässlich ihres 80. Geburtstags hätte eine große Schau im Linzer Lentos stattfinden sollen, krisenbedingt musste diese auf Oktober verschoben werden. Eine Filmreihe wird zur Ars Electronica nachgeholt. Die Oberösterreichischen Landesmuseen (Franciso Carolinum) eröffnen am Samstag eine kleine Ausstellung mit Werken aus der Sammlung.

STANDARD: Wie haben Sie die Krise genutzt?

Export: Ich bin zu wenig gekommen, ich brauche mehr Herausforderung und Temperament dazu – die Krise hat alles stillgelegt.

STANDARD: In der österreichischen Kulturszene brodelt es momentan. Nach langem Hin und Her können Museen wieder öffnen. Wie sehen Sie diese Debatte?

Export: Sie wird sehr nachlässig geführt. Es geht nicht nur um die Museen, sondern auch um Galerien und die Präsenz der Künstler und Künstlerinnen. Der Staat müsste dafür sorgen, dass die Einschränkungen im Kulturbereich nicht so lange andauern. Und dass den Kunstschaffenden die Möglichkeit gegeben wird, sich präsentieren zu können.

STANDARD: Zuerst wollten die Bundesmuseen mit ihrer Wiedereröffnung warten …

Export: Das ist mir auch nicht ganz klar, warum. Gott sei Dank öffnen sie jetzt früher. So haben sie die Gelegenheit zu zeigen, dass sie nicht alleine vom Tourismus leben, sondern auch von den heimischen Besucherinnen und Besuchern.

STANDARD: Viele Kunsthäuser haben ihr digitales Angebot ausgebaut. Sehen Sie hier die Zukunft?

Export: Nein, das hoffe ich nicht! Das Kunstwerk ist das Kunstwerk. Man steht davor, merkt die Präsenz und kann es nur so mit anderen Werken vergleichen. Das wird das Digitale nie ersetzen.

STANDARD: Und als Ergänzung?

Export: Man kann es zur Recherche nutzen. Wer aber Kunstwerke sehen möchte, wird auch in Zukunft ins Museum gehen.

STANDARD: Sie experimentierten früh mit der Kamera, wobei diese immer in Beziehung zu Ihrem Körper stand: Sie führten sie – wie 2007 auf der Biennale – in Ihren Hals ein. Werden wir in Zukunft immer mehr mit unseren Geräten verschmelzen?

Export: Ja, das ist ein wichtiger Gedanke, dem man sich widmen muss. Der menschliche Körper kann mit gewissen Technologien zusammenwachsen. Den Maschinen-Menschen wird es aber dennoch nicht geben. Eher werden unsere Körper durch Anhängsel erweitert – so wie wir mit dem Telefon verschmolzen sind. Heute sagt man ja Handy dazu.

STANDARD: Die aktuelle Situation hat verdeutlicht, dass es vorwiegend Frauen sind, die unbezahlte Arbeit leisten und in schlecht bezahlten Berufen tätig sind – ohne Pflegerinnen, Krankenschwestern und Kassierinnen würde das System gar nicht funktionieren. War es nicht immer schon so?

Export: Es ist tragisch, dass es so weit kommen musste und wir eine derartige Krise dafür brauchen. Durch sie wurde das jetzt nur deutlich. Denn seit Jahrzehnten fordert der Feminismus genau das: Frauen sollen gleich bezahlt werden und gleiche Rechte wie die Männer haben. Darauf müssen der Staat und die Gesellschaft jetzt endlich reagieren – so kann es nicht weitergehen.

STANDARD: Hat die Krise dann etwas Positives bewirkt?

Export: Das finde ich gar nicht positiv. Wenn man seine Gesundheit und somit sein Leben riskiert, kann das nicht positiv sein.

STANDARD: Mit Ihren konzeptionellen Performances haben Sie ab den späten 1960er-Jahren begonnen, auf die Unterdrückung der Frau in patriarchalen Strukturen aufmerksam zu machen. Welche Parallelen bestehen zwischen heute und damals?

Export: Die patriarchalen Strukturen sind heute zwar verschleiert, aber immer noch stark vorhanden. Nur weil Frauen jetzt mehr erreichen können und nicht mehr ihre Ehemänner fragen müssen, ob sie arbeiten gehen dürfen, sind die dominanten Strukturen in der Gesellschaft nicht verschwunden – und männlich. Wir haben immer noch eine dominante Männerherrschaft! Man muss sich nur anschauen, wer in der Politik und der Wirtschaft das Sagen hat. Da stehen Frauen immer noch an.

STANDARD: Müssten wir Frauen mehr provozieren?

Export: Nein, das muss die Gesellschaft gemeinsam tun – sie muss als Ganzes dafür protestieren.

STANDARD: Die große Schau anlässlich Ihres 80. Geburtstags im Lentos musste verschoben werden. Dafür zeigen die Oberösterreichischen Landesmuseen nun Werke aus der Sammlung, darunter Ihre Fotocollage "Geburtenmadonna" – die Frau als Hausfrau und Heilige zugleich. Wie kam es zu der Arbeit?

Export: Ich habe mich mit der Stellung der Frau in der bildnerischen Kunst beschäftigt. Da bin ich draufgekommen, dass Frauen meist eine ganz dezidierte Körperhaltung einnehmen: demütig und angepasst. Sie waren immer in der zweiten Reihe. Und das hat mich interessiert, in ein Umfeld mit Haushaltsgegenständen zu bringen – also die "Domäne der Frau".

Die "Geburtenmadonna": Hausfrau und Heilige zugleich.
Foto: Valie Export, Bildrecht Wien

STANDARD: Als Sie 1960 in die Hauptstadt kamen, war die Kunstszene von den Wiener Aktionisten wie Otto Mühl und Günter Brus geprägt. Sie hatten damals kaum weibliche Vorbilder – woran haben Sie sich orientiert?

Export: Ich habe mich mit dem Frauenbild in der Kunst auseinandergesetzt und mich gefragt, was man Neues fordern kann. Vieles entstand auch durch den Austausch mit gleichgesinnten Künstlerinnen zu der Zeit, die auch etwas verändern wollten, beispielsweise Carolee Schneemann.

STANDARD: Was sagen Sie jungen Künstlerinnen heute?

Export: Das kommt ganz auf die Frage an. Wichtig ist aber, dass sie in sich hineinhorchen und fragen, was sie selbst darstellen wollen. Und warum. Wichtig ist es, Kunstwerke nicht nur zu betrachten, sondern mit einem analytischen Blick zu sehen. Darum würde die Betrachtung eines digitalen Kunstwerks nie das reale ersetzen.

STANDARD: 2017 wurde das Valie Export Center als Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst in einer stillgelegten Tabakfabrik in Linz gegründet, ihr Vorlass verwaltet und zugänglich gemacht. Wenn sich Menschen in 100 Jahren an Valie Export erinnern werden – was wird das Erste sein, das ihnen dann einfällt?

Export: Mickey Mouse! (lacht) Nein, ich habe wirklich keine Ahnung, was übrig bleiben wird. Ich nehme an, sie werden mich dann mit anderen Künstlern und Künstlerinnen vergleichen, die es zur selben Zeit gab, und sich fragen: Inwiefern hatten Kunstschaffende aus unterschiedlichen Kulturen ähnliche Gedanken? Wie war der Zeitgeist? Und was hat sich geändert? Das wäre mir sehr wichtig. (Katharina Rustler, 14.5.2020)