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Mit seinem Roman "Drohnenland" hat es der deutsche Autor und Journalist Tom Hillenbrand 2015 geschafft, sowohl den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Krimi als auch den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Science-Fiction-Roman des Jahres zu gewinnen. Das ist eine Leistung, die es zu würdigen gilt, denn die Verschmelzung von handlungs- und settingbestimmten Genres ist nicht so einfach, wie viele Autoren es gerne hätten.

Häufig hat sich ein Autor auf ein Genre spezialisiert, das gewissen Handlungsmustern folgen muss, sei es Romance, Horror oder – wie in Hillenbrands Fall – Krimi. Zwecks Abwechslung verlegt er seine Plots dann vielleicht mal von der Gegenwart in ein historisches oder auch ein phantastisches Setting, wo es freilich einen weiteren Satz von Genre-Regeln zu beherzigen gilt. Diese Synthese gelingt bei weitem nicht jedem; unzählige hanebüchene Zukunftsentwürfe als Kulisse für Liebes- und Mordgeschichten lassen grüßen. Hillenbrands jüngster Roman "Hologrammatica" hingegen gehört zu den Fällen, in denen sowohl die Krimi- als auch die Science-Fiction-Aspekte sitzen.

Die Welt der Hologrammatica

In der Romanwelt des Jahres 2088 wimmelt es nur so von virtuellen Requisiten. Nicht jedoch – und das ist eine Abwechslung in der heutigen SF – in Form von Datenströmen, die als Augmented Reality eingespielt werden und nur via entsprechendes Empfangsgerät wahrgenommen werden können, ob VR-Brille oder Implantat im Kopf. Nein, hier findet das Ganze im Bereich des sichtbaren Lichts statt, als gute alte Hologramme.

Die sind einfach überall: Abgenudelte Hausfassaden werden mit Holopolish behübscht, Menschen verstecken ihre schleißige Morgenfrisur oder auch ihre Identität hinter Holomasques und so weiter. Erst wenn man all diese Kosmetik nicht mehr sehen will, braucht man spezielles Gerät. Sogenannte Stripper-Software schält die verschiedenen holografischen Ebenen von der Welt ab – das hat mitunter einen ähnlich ernüchternden Effekt wie die Einnahme des Gegenmittels gegen die Maskone in Lems "Futurologischem Kongress".

Gumshoe Galahad

Als Hauptfigur – es ist schließlich ein Krimi – haben wir einen Ermittler mit dem unwahrscheinlichen Namen Galahad Singh, spezialisiert auf das Aufspüren von Verschwundenen. Für einen Privatdetektiv (oder im Wording des Romans: Quästor) hat Galahad eine recht ungewöhnliche Eigenschaft. Nicht, dass er schwul ist, und auch nicht, dass er gelegentlich von Depressionsschüben heimgesucht wird – sondern dass er eigentlich aus superreichem Hause stammt. Das wird – wie vieles in diesem Roman – lange Zeit nur kurz erwähnt, ehe Hillenbrand auf das Wie und Warum eingeht. Und tatsächlich wird sich am Ende zeigen, dass hier wirklich jedes Detail seine Funktion im großen Ganzen hat.

Für seinen aktuellen Fall wird Galahad auf die verschwundene Software-Entwicklerin Juliette Perrotte angesetzt. Die arbeitete an Verschlüsselungen für sogenannte Cogits, die neuste Errungenschaft der Technologie. Statt seines Gehirns kann man sich einen Quantencomputer mit dem digitalisierten Bewusstseinsinhalt einpflanzen lassen, was einige Vorteile bringt – unter anderem das zeitlich befristete Wechseln in einen gleichermaßen ausgestatteten Ersatzkörper nach Wahl. Offenbar war Perrotte einer folgenschweren Schwachstelle dieser Technologie auf der Spur. Außerdem gab es da einige unerwartete Seiten an ihrer Persönlichkeit, wie Galahad noch herausfinden wird.

Rätsel über Rätsel

Für längere Zeit zieht man beim Lesen die Zwischenbilanz: solider Krimi; könnte freilich mit der einen oder anderen Änderung jederzeit in ein gegenwärtiges Setting übertragen werden. Aber nicht vorschnell urteilen. In stetem Tropf führt Hillenbrand nämlich ein Geheimnis nach dem anderen in die Handlung ein, stets nach dem System: beiläufig erwähnen, den Leser stutzen und auf mehr hoffen lassen – und dieses Mehr erst viel später nachliefern.

Da wäre zum Beispiel die ominöse Krankheit, die die Weltbevölkerung stark verringert hat. Der weit fortgeschrittene Klimawandel. Ein zunächst schlicht als "Turing" bezeichneter Zwischenfall vor Jahrzehnten, der dazu geführt hat, dass man von den Vernetzungs- und Überwachungsbestrebungen unserer Tage wieder abgekommen ist. Die rätselhaften Revenants: Menschen, die verschwunden sind, Jahre später zufällig wiedergefunden werden, nun aber eine vollkommen andere Persönlichkeit haben. Und buchstäblich alles überstrahlend ein gigantischer Lichtdom, der eines Tages von Knossos aus in die Stratosphäre ragte und sein Geheimnis bis zur Romanzeit immer noch nicht preisgegeben hat (jedem SF-Fan würde das Herz bluten, sollte Hillenbrand dieses spezielle Mysterium im Verlauf des Romans nicht entschleiern).

Verbunden mit den krimitypischen Familiengeheimnissen und unerwarteten Querverbindungen sammelt sich bis zum Finale ein ordentliches Bündel an offenen Fragen an. An einer Stelle sinniert Galahad: "Oft ist die Wahrheit ja viel banaler, als man denkt." Ob das auch für die Auflösung des Romans gilt? Das muss jeder für sich selbst entscheiden, auf jeden Fall wird sie alles zusammenbringen und auf (fast) alle Fragen eine Antwort liefern. Was dann noch übrig bleibt, könnte Stoff für eine Fortsetzung bieten – und ausnahmsweise klingt das nicht wie eine Drohung.