An einem Checkpoint in Kapstadt prüfen Soldaten die Menschen, die passieren.

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Es hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Noch bevor die Zahl der Infizierten im dreistelligen Bereich angelangt war, wandte sich der Präsident in einer TV-Ansprache an sein Volk und kündigte einen entschlossenen Kampf gegen das Virus an. Ein willkommener Paradigmenwechsel in einem Land, in dem frühere Staatschefs die Existenz des HI-Virus jahrzehntelang geleugnet haben oder mehr an ihrer Selbstbereicherung als am Wohl der Bevölkerung interessiert waren. Die Südafrikaner waren bereit, Ramaphosa zu vertrauen – höchstens am Rand von der Tatsache irritiert, dass auch der Verkauf von Alkohol und Zigaretten verboten wurde. Sie sollten gefälligst einmal "ausnüchtern", schrieb ihnen der Polizeiminister ins Stammbuch.

Der Lockdown wurde von drei auf fünf Wochen verlängert: In den schwarzen Townships bildeten sich die ersten Schlangen vor Suppenküchen, mehr als 30.000 Südafrikaner wurden wegen Verstößen gegen die Notstandsregeln verhaftet. Auch das wurde höchstens murrend in Kauf genommen: Ein Ende des Lockdowns war ja abzusehen, und die Kurve der Neuansteckungen flachte tatsächlich ab. Wenige Tage vor Ablauf der Ausgangssperre kündigte Ramaphosa eine Erleichterung der Regeln an.

Strikte Auflagen

Als die Ministerin für "Kooperative Regierungsführung", Nkosazana Dlamini-Zuma, schließlich Spielregeln für ein neues Lockdown-Regime bekanntgab, wurde das Vertrauen der Südafrikaner einer ersten Belastungsprobe ausgesetzt. Stufe 4 fiel fast noch strikter als die bisherige Stufe 5 aus: Zwar ist inzwischen das Ausführen von Hunden morgens zwischen sechs und neun Uhr erlaubt und eine Million Menschen dürfen unter strikten Auflagen wieder arbeiten gehen.

Gleichzeitig wurde aber auch eine von 70.000 Soldaten kontrollierte nächtliche Ausgangssperre verhängt. Restaurants, Bars und die meisten Geschäfte bleiben für den Publikumsverkehr geschlossen, der Onlinevertrieb ist – um keinen "unfairen Wettbewerb" zu ermöglichen – nach wie vor nur für Nahrungsmittel erlaubt. Eine Zeitspanne für Stufe 4 wird nicht genannt: Die Bevölkerung soll froh sein, wenn sie nicht wieder auf Stufe 5 zurückversetzt wird. Entgegen der Ankündigung des Präsidenten bleibt auch der Zigarettenverkauf verboten.

Nkosazana Dlamini-Zuma im Mittelpunkt

Um die Entstehungsgeschichte des überraschend unsinnigen Regelwerks zu verstehen, konzentrieren sich Südafrikas Kommentatoren auf die 71-jährige Dlamini-Zuma, die zum Urgestein der Regierungspartei ANC gehört. Sie war unter Nelson Mandela in einen Korruptionsskandal verwickelt, leugnete die Existenz des HI-Virus und sollte 2017 als Präsidentschaftskandidatin gegen Ramaphosa die Pfründen ihres korrupten Ex-Gatten Jacob Zuma retten. Dabei unterlag sie nur knapp. Ihr Kontrahent holte sie danach ins Kabinett – womöglich weil man mächtige Gegner in seiner Nähe halten soll. In der tiefgespaltenen Partei hat Dlamini-Zuma noch immer großen Einfluss: Was, wenn ihre unbeliebte Stufen-Strategie vor allem Ramaphosas Popularität bremsen soll?

Zumindest ist das Vertrauen vieler Südafrikaner erschüttert: Auch dieser Regierung scheint es doch wieder nur um Macht- und Pfründen-Politik statt um das Wohl der Bevölkerung zu gehen. Unterdessen steigt die Zahl der Ansteckungen so stark wie noch nie an: täglich mehr als 600 Menschen. Epidemiologen beruhigen, dass das abzusehen war – mit dem Zenit der Pandemie sei erst im August zu rechnen.

Unter Lockdown Stufe 4 wäre das Land bis dahin allerdings zugrunde gerichtet, warnen Wirtschaftsanalysten: Dann werden mehr Menschen an Hunger als am Virus sterben. Bisher sind gut 200 Kapländer dem Erreger erlegen – so viele fallen der Tuberkulose in zwei Tagen zum Opfer. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 14.5.2020)