Schnell die Ermittlungen gestoppt: Auch Kommissarin Schnell (Ursula Strauss) und Kollege Franitschek (Wolf Bachofner) können Corona-bedingt nicht drehen. Hier in der "Schnell ermittelt"-Folge "Knut Holm" von 2017.

Foto: ORF/MR Film/Petro Domenigg

70.000 Euro pro Tag, womöglich auch 100.000: Der Zähler rennt, wenn alles steht. Zum Beispiel, weil einer oder eine von dutzenden und mehr Menschen beim Dreh einer großen TV-Produktion positiv auf Corona getestet wird. Dann steht die Produktion gleich für zwei Wochen oder mehr– und gegen diese Ausfälle lässt sich keine Versicherung abschließen.

Die Produktionsbranche steht Corona-bedingt. Das ist nicht neu – "Virus legt TV-Produktionen lahm", schrieb DER STANDARD im März. Und zählte auf: "Soko Kitzbühel" verschoben, Drehstopp für eine "Tatort"-Folge und David Schalkos Serienprojekt "Ich und die anderen", vorerst auf Eis liegen etwa "Schnell ermittelt" und ein neuer "Landkrimi".

Sicherheitsregeln für Dreharbeiten beim Gesundheitsministerium

In den Wochen seither allerdings ist offenkundig nicht viel weitergegangen – bis Donnerstag: Da soll das Gesundheitsministerium von den Filmschaffenden vorgeschlagene Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen für Dreharbeiten abgenickt haben, erfuhr Fabian Eder, Vorsitzender des Filmschaffenden-Dachverbands. Im Gesundheitsministerium bestätigte man diese Informationen Donnerstagnachmittag noch nicht: "Das Konzept ist beim Ministerium eingelangt und wird derzeit geprüft", hieß es dort auf STANDARD-Anfrage.

Aber auch nach einem Okay des Ministeriums bleibt die wirtschaftlich existenzielle Schlüsselfrage für die Produktionsbranche: Wie lässt sich das Risiko eines Drehstopps wegen einer Produktion absichern?

ORF hat "bis zum Jahresende Programm", sagt Wrabetz

Beim größten Player im österreichischen Produktionsbusiness, dem ORF, wuchs das Problembewusstsein in diesen langen Corona-Wochen: "In Wirklichkeit haben wir bis Jahresende Programm", sagt Alexander Wrabetz, Generaldirektor des ORF, im Gespräch mit dem STANDARD. Die nächste Staffel der "Vorstadtweiber" hat ORF 1 noch für Jänner geplant, dann wird es deutlich dünner: "Relativ bald im neuen Jahr können wir nur noch auf Wiederholungen zurückgreifen. Das ist nicht der Sinn unseres Auftrages", erklärt Wrabetz.

Die über viele Jahre zu großen Lagerbestände habe der ORF im Wesentlichen abgespielt. "Wir haben keinen Vorrat, der so weit reicht. Das ist eine ernste Situation auch für uns." Der ORF-Chef: "Wir haben größtes Interesse, dass diese Dinge ins Laufen kommen, weil wir das dringend für das Publikum brauchen – damit wir auch im nächsten Jahr etwas Neues aus Österreich zeigen können." Und es gehe um Österreichs Beitrag zu europäischen Produktionen, auch zur "Tatort"-Reihe.

"Russisches Roulette – und der ORF sitzt erste Reihe fußfrei"

Im Juni werden die Dreharbeiten wieder aufgenommen, sagt Fabian Eder im Gespräch mit dem STANDARD. Sie müssen, sagt der Vorsitzender des Dachverbands der Filmschaffenden: "Die Produktionen haben keine andere Chance." Denn: "Wenn einer nicht dreht, geht er pleite. Wenn er dreht, hat er immerhin die Chance, eine Produktion fertig zu bekommen. Aber wenn etwas passiert, ist er ebenso pleite." Etwas wie eine Infektion am Set.

"Die Regierung zwingt uns zum russischen Roulette", formuliert Eder drastisch – "und der ORF sitzt erste Reihe fußfrei und schaut zu." Die Produzenten drängen auf eine Ausfallhaftung der Regierung für einen Drehstopp wegen einer Infektion. Bisher ohne greifbares Ergebnis.

"Eine Ausfallhaftung für Filmproduktionen ist eine Maßnahme, die für die Filmwirtschaft in Zeiten von Corona hilfreich wäre. Wir schauen uns gerade an, ob und wie diese umsetzbar ist", erklärt eine Sprecherin von Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek am Donnerstag auf STANDARD-Anfrage. (Update: Am Freitag, 10 Uhr erklärte Lunacek ihren Rücktritt.)

"ORF putzt sich ab"

"Es muss eine öffentliche Lösung geben", sagt ORF-Chef Wrabetz: Eine Ausfallhaftung koste nur potenziell und jedenfalls deutlich weniger als ein Rettungspaket für einen Wirtschaftszweig. "Es ist gescheiter, eine Branche so zum Laufen zu bringen und nur für einen Ausfall Geld zu zahlen."

"Der ORF tut so, also würde sie diese Geschichte nichts angehen", klagt Eder und verlangt eine Haftung auch des ORF für Produktionsausfälle. "Deutsche Sendeanstalten geben ihren Produktionen Rückhalt, aber der ORF putzt sich aufs Schändlichste ab."

Rückversicherung und Ausfallhaftung in Deutschland

Die deutsche öffentlich-rechtliche ARD indes hat sich etwa bereiterklärt, 50 Prozent der Mehrkosten wegen Corona zu tragen. Das gilt dezidiert auch für einen Corona-bedingten Abbruch von Dreharbeiten oder dadurch verursachte Neustarts von Produktionen. 400 Produktionen wurden laut Branchendiensten in den vergangenen Wochen in Deutschland wegen Corona gestoppt.

In Deutschland arbeitet man an einer Art Rückversicherungslösung, die das derzeit nicht versicherbare Risiko von Mehrkosten durch Corona abdecken soll. Christian Franckenstein, Geschäftsführer der öffentlich-rechtlichen Bavaria-Produktion (in Österreich: Satel), schlug am Montag bei einem runden Tisch der deutschen öffentlich-rechtlichen wie privaten Sendergruppen dafür einen Sofortkredit der deutschen Regierung von 60 bis 100 Millionen Euro vor. Am Tisch beim Sendergipfel mit Produzenten: Kulturministerin Monika Grütters. Die Idee werde "weiter ausgearbeitet", sagen Menschen mit Einblick in die Vorgänge aus der ARD.

Gesprächsbereitschaft über "gewisse Mehrkosten"

Bei Ausfallhaftungen sieht Wrabetz den ORF nicht als "Vertragspartner" der Produktionsbranche, sondern die öffentliche Hand. Aber der General vom Küniglberg erklärt: "Wenn wir sicher und ausfallsicher produzieren können, dann wird das auch gewisse Mehrkosten bedeuten. Darüber wird man dann reden" – wenn einerseits die Sicherheitsreglements bei Dreharbeiten und andererseits die Ausfallhaftung "klar sind". Wrabetz' Perspektive: "Man redet über reale Projekte, die laufen, und einigt sich dann vernünftig." Eder spricht von 20 Prozent Mehrkosten allein durch die nötigen Hygienemaßnahmen am Set.

Um die ging es Dienstag bei einem Termin von Filmvertreter Eder mit einer Abordnung von Kulturschaffenden und des Kulturstaatssekretariats im Gesundheitsministerium. Thema: ein Reglement für Sicherheitsmaßnahmen bei Proben oder Dreharbeiten. 14 Tage hätten die Filmschaffenden an einem Drei-Zonen-Modell für Dreharbeiten gefeilt, um das Infektionsrisiko zu minimieren, sagt Eder. Die Gesprächspartner aus dem Ministerium wirkten ihm am Dienstag noch nicht wirklich eingelesen.

Am Donnerstag berieten die Filmschaffenden laut Eder mit Gewerkschaft und Wirtschaftskammer über die Lage der Branche.

"Das wird ein Kahlschlag, den man mit der Pest vergleichen kann"

Eder sieht schon einen "politischen Willen, der die Filmbranche ruinieren will". Er prophezeit für die Produktionsbranche: "Das wird ein Kahlschlag, den man mit der Pest vergleichen kann. Es wird wenig übrig bleiben." Den Nachwuchs werde es treffen, den innovativen Film, "den künstlerischen Humus des Landes". (Harald Fidler, 15.5.2020)