Als 1969 in Wien die Bauarbeiten für die U-Bahn begannen, war in Wien das Verkehrschaos schon perfekt. 450.000 zugelassene Pkws kämpften mit den Straßenbahnen um den Platz auf den Straßen. In der Südsteiermark war die mobile Welt indes noch eine recht idyllische. Opa Toni pendelte die paar Kilometer in die Fabrik mit der Stanglpuch, Opa Heinerl fuhr überhaupt gleich immer Rad.

Das Rad steigt in der Stadt zum Verkehrsmittel der Wahl auf. In Wien nahm im April der Radverkehr um mehr als 20 Prozent zu.
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50 Jahre später hatte sich das Bild gewandelt. Auf dem Land war man ohne Auto aufgeschmissen. In Wien löste die stark frequentierte und gut ausgebaute U-Bahn das Verkehrschaos auf den Straßen kaum. Kein Wunder, waren in Wien doch inzwischen 714.960 Pkws zugelassen – dazu kamen rund 120.000 Pendler, die täglich mit dem Auto in die Stadt fuhren.

Dann kam die Pandemie

2020 kam Corona, am 13. März kamen Ausgangsbeschränkungen, und mit einem Schlag – wenn man es sarkastisch sagen darf – waren alle Verkehrsprobleme gelöst. Von den Menschen, die noch einen Job hatten, arbeiteten viele von zu Hause aus, Kinder wurden nicht mehr in die Schule gebracht, der Reiseverkehr kam völlig zum Erliegen.

"Im März waren im Schnitt um fast 40 Prozent weniger Kraftfahrzeuge auf den Autobahnen unterwegs. Auf der A23 fuhren im heurigen März im Schnitt um 57.200 Kfz pro Tag weniger über die Praterbrücke als im März des Vorjahres", rechnet Christian Gratzer, Sprecher des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ), vor. "Im Verkehrsmittelvergleich nahm nach dem Flugverkehr der öffentliche Verkehr am zweitstärksten ab, Verkehrsunternehmen berichteten, dass sie um rund 80 Prozent weniger Fahrgäste hatten. Der Autoverkehr hat am stärksten zwischen Mitte März und Mitte April abgenommen, je nach Bundesländern um 40 bis zu 70 Prozent in Tirol. Mit der Lockerung der Maßnahmen hat auch wieder der Autoverkehr zugenommen."

Mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen am 1. Mai ist aber nicht wieder gleich alles wie vorher. Die Reisefreiheit bleibt eingeschränkt, öffentliche Verkehrsmittel werden aus Angst vor Ansteckungen gemieden, private Verkehrsmittel sind auf einmal sehr gefragt. Allen voran das Fahrrad – der VCÖ hat die 13 Zählstellen in Wien ausgewertet und unterm Strich 866.263 Radfahrer gezählt, was einem Plus von 20,2 Prozent gegenüber dem April 2019 entspricht, an Wochenenden sogar 64 Prozent –, aber auch das Automobil.

Vor der Pandemie zeigte sich, dass der Pkw in der Stadt seit Jahren an Bedeutung verlor. Junge Menschen machten seltener den Führerschein, und der Besitz eines Autos wurde immer weniger erstrebenswert. "Die jüngsten 90 Prozent der Führerscheinwerber in Wien sind bis zu 32 Jahre alt. Im Burgenland liegt die 90-Prozent-Latte bei 21 Jahren", erklärt Fahrschulbesitzer Alexander Seger. Doch mit einem Mal war das Auto wieder gefragt. Aber anscheinend nicht in dem Sinne, wie sich das die Automobilbranche wünscht. Während die Autohändler in Wien quietschen wie alte Scheunentüren, nach Forderungen flehen und sich von Insolvenzen bedroht sehen, steigen die Preise für relativ junge Gebrauchtwagen seit Wochen.

Die Bedeutung des Autos

"Wir gehen davon aus, dass das Auto wieder eine stärkere Rolle in der urbanen Mobilität einnehmen wird. Denn die Menschen fühlen sich in ihrem eigenen Fahrzeug zu Recht sicher", sagt Günther Kerle, Vorsitzender Österreichs Automobilimporteure. "Der SUV-Boom hält nach wie vor an, die E-Mobilität hingegen ist zumindest im privaten Bereich ausbaufähig, weil es an Ladestationen fehlt."

Die Autosehnsucht könnte langfristig einen Boom beim Carsharing auslösen – noch überwiegt die Angst, sich in einem von mehreren Personen genutzten Wagen infizieren zu können.

Unterstützung fürs Rad

Nun ist es aber weder das Ziel des Bundes noch das Ziel der Stadtregierung in Wien, mehr Autos auf den Straßen zu sehen. Darum wird die Bundesregierung 2020 das Budget zum Ausbau der Radinfrastruktur in Österreich auf 46 Millionen Euro verzehnfachen. Und Städte über 30.000 Einwohner können künftig Fördermittel aus dem Topf "klimaaktiv mobil" erhalten. Allein in Wien werden heuer 30 Radprojekte wie Radwege oder Fahrradstraßen umgesetzt, sagte Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne).

Mit dem Pop-up-Radweg auf der Praterstraße zeigte sie nicht nur, wie wichtig ihr der Radverkehr ist, sondern sie zog auch den Unmut mancher Autofahrerinnen und Autofahrer auf sich.

Noch einige zu bewältigende Aufgaben bei der Radinfrastruktur sieht auch der VCÖ: "Abstand halten ist eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. In den vergangenen Wochen wurde sehr deutlich sichtbar, dass vielerorts die Gehsteige und Radwege zu schmal sind und dass es wichtig ist, den Fußgängerinnen und Fußgängern sowie dem Radverkehr deutlich mehr Platz einzuräumen." Das wäre vor allem in Hinblick darauf wichtig, dass die Zeichen ganz gut dafür stehen, dass nun mehr Personen auch langfristig auf das Rad umsteigen könnten, denn wie Christian Gratzer bemerkt, "werden Homeoffice sowie Video- und Telefonkonferenzen künftig sicher einen höheren Anteil haben. Da in letzter Zeit wenig Autoverkehr war, fiel ein häufig genanntes Argument gegen die Nutzung des Fahrrads weg. Wenn die Politik Infrastrukturen schafft, die auch jetzt nach der Lockerung angenehmes Radfahren ermöglichen, dann werden viele beim Fahrrad bleiben. Der öffentliche Verkehr wird intensiv daran arbeiten müssen, die Fahrgäste wiederzugewinnen."

Pendler in Wien und Graz

Das ist ein weiterer Punkt, an dem Hebein langfristig ansetzen möchte, etwa auch um Pendler zum Umsteigen zu bewegen. Auf der Agenda stehen eine einheitliche Parkraumbewirtschaftung, der Ausbau der Öffis auch in den Speckgürtel und die Errichtung weiterer Park-and-ride-Anlagen.

Ähnliche Ansätze verfolgt man in Graz, wo man hofft, dass die Zunahme des Auto-Pendler-Verkehrs ein vorübergehendes Phänomen sei, wie es aus dem Büro von Stadträtin Elke Kahr (KPÖ) heißt: "Die Stadt Graz und das Land Steiermark unternehmen gerade viel, um den Pendelverkehr stärker auf die S-Bahn und Park & Ride, aber auch in der näheren Umgebung auf das Fahrrad zu bringen. Daran wollen wir konsequent festhalten." Pop-up-Radwege hat man zwar überlegt, aber sich dann entschlossen, "auf ,haltbare‘ Maßnahmen zu setzen, diese gut vorzubereiten beziehungsweise an diesen beschleunigt weiterzuarbeiten".

Also was bleibt vom Verkehr in der Stadt nach Corona? "In erster Linie will die Bevölkerung von A nach B kommen und das möglichst zeitsparend", ist Christian Gratzer überzeugt. Das funktioniert eben fantastisch mit dem Rad – auf weiteren Strecken auch mit dem Motorrad. Und die gibt es ja auch schon mit E-Antrieb. (Guido Gluschitsch, 14.5.2020)