Die ungarische Polizei ist allgegenwärtig, um die Einhaltung der Corona-Beschränkung zu überwachen. Dass Beamte auch Personen wegen Verbreitung von Fake-News festnehmen, kommt nicht gut an.

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In Ungarn, wo der Rechtspopulist Viktor Orbán herrscht, bekommen Regierungskritiker neuerdings unangenehmen Besuch von der Polizei. In einem Dorf nahe der Kleinstadt Szerencs im Norden des Landes sowie im südostungarischen Heilbad Gyula klingelten die Beamten am Dienstag und Mittwoch um jeweils sechs Uhr früh bei zwei jeweils älteren Herren, um sie wegen früherer Facebook-Postings mit dem in Corona-Zeiten besonders strafbaren Vorwurf der Verbreitung von Gräuelnachrichten zu konfrontieren. Ihre Heime wurden durchsucht, ihre Laptops und Mobiltelefone beschlagnahmt. Die beiden Herren wurden abgeführt, auf die lokale Polizeiwache gebracht, erkennungsdienstlich behandelt und verhört.

Der 64-jährige András Kusinszki aus dem Dorf bei Szerencs ist ein einfacher Mann, der bislang nicht in der Öffentlichkeit hervortrat. Im April hatte er in einem eher philosophisch gehaltenen Facebook-Posting seinem Ärger über die Kommunikationspolitik der Orbán-Regierung in der Corona-Pandemie Luft gemacht. So äußerte er die Mutmaßung, dass das aus seiner Sicht konfuse Regierungshandeln zu mehr Opfern als nötig führen könnte. Seinen Gedankenflug beschloss er, ohne Orbán namentlich zu nennen, mit den Worten: "Du bist ein gnadenloser Tyrann, aber merk’ dir, bis jetzt ist noch jeder Diktator gestürzt."

Einstellung des Verfahrens

Als ihn die Polizisten auf der Wache fragten, wen er mit Diktator gemeint hätte, entgegnete er nach eigener Darstellung mit Schweik’scher Schlauheit: "Wenn hier jeder an einen bestimmten Jemand denkt, dann hat sich diese Person das hart erkämpft." Wenige Stunden später stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Kusinszki ein. Es liege keine Straftat vor, befand die Behörde. Die Polizeiaktion habe wohl dem Versuch gedient, ihn einzuschüchtern, sagte der wieder freie Mann anschließend dem Portal 444.hu.

Bei János Csóka-Szücs, einem Oppositionsaktivisten aus Gyula, lief die Polizeiaktion am Mittwoch ganz gleich ab: Klingeln um sechs Uhr früh, Hausdurchsuchung, Beschlagnahme der Hardware, Abführen, Verhör. Doch der angebliche Verbreiter von Gräuelnachrichten ist ein bekannter Mann in seiner Stadt, ein Kritiker Orbáns und seiner Fidesz-Partei, der er bis 1997 angehört hatte. Er engagiert sich im örtlichen Ableger des Kossuth-Kreises, einer bürgerlich-liberalen Zivilorganisation, und in der neuen liberalen Partei Momentum. Sein "Verbrechen": Er hatte im April in einer geschlossenen Facebook-Gruppe örtlicher Oppositioneller lapidar festgestellt: "Auch in Gyula wurden 1170 Betten freigemacht."

Zweifelhafte Eile

Der Satz bezog sich auf die damalige Maßnahme der Regierung, binnen weniger Tage 36.000 Krankenhausbetten im ganzen Land für Corona-Patienten abzustellen – eine Kapazität, die nie auch nur annähernd benötigt wurde. Sie führte dazu, dass Krankenhäuser zahllose pflegebedürftige und rekonvaleszente Patienten praktisch auf die Straße setzen mussten.

Auch Csóka-Szücs wurde nach ein paar Stunden auf freien Fuß gesetzt. Zu seinem Fall äußerte sich die Staatsanwaltschaft allerdings bisher nicht. Dem Internetportal der Wochenzeitung Magyar Narancs sagte er: "Nach diesem sehr negativen Ereignis habe ich viel Zuspruch erhalten. Das bestärkt mich darin weiterzumachen."

Noch lässt sich nicht abschätzen, ob die Polizeischikanen gegen Regierungskritiker in Ungarn Einzelfälle bleiben oder systemisch werden. Im Zuge der Corona-Pandemie hatte sich Orbán jedenfalls vom Parlament Ende März mit umfassenden und unbefristeten Notstandsvollmachten ausstatten lassen. Teil des Ermächtigungsgesetzes sind auch verschärfte Strafbestimmungen gegen das Verbreiten von Falschnachrichten. Dafür drohen nunmehr bis zu fünf Jahre Gefängnis. (Gregor Mayer aus Budapest, 15.5.2020)