Übersetzerin in Liebesdingen gefragt: Leah Lewis und Daniel Diemer in "Nur die halbe Geschichte".

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Klugheit ist immer ein wenig verdächtig. Im streng typisierten Figurenarsenal der (US-amerikanischen) Highschool- und Collegefilme stehen die Wiffzacks meistens ein wenig im Abseits und werden vom Rest aufgrund ihrer Andersartigkeit gehänselt. Noch betören die sportlichen Jocks mit physischen Leistungen. Die Nerds kommen frühestens dann zum Zug, wenn sie es in eine Elite-Uni schaffen, ins Silicon Valley weiterziehen und dort ein Start-up gründen.

Alice Wu spannt in ihrer Romantic Comedy The Half of It (Nur die halbe Geschichte) je einen Vertreter dieser sonst einander tunlichst meidenden Gruppen auf ungewöhnliche Weise zusammen. Die Idee ist aus Edmond Rostands unverwüstlichem Klassiker Cyrano de Bergerac geborgt. Ellie (Leah Lewis), schon aufgrund ihrer chinesischen Abstammung zur Außenseiterin der Weißbrot-Gemeinde Squahamish (existiert nicht, liegt aber imaginär im Bundesstaat Washington) verurteilt, schreibt gut – und gegen Bezahlung auch für andere. Paul (Daniel Diemer) ist eher grobschlächtig, nicht zuletzt verbal. Sein Wort für alles: cool.

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Paul ist jedoch in die auch literarisch bewanderte Highschool-Fee Aster (Alexxis Lemire) verliebt und bittet nun Ellie darum, ihm in Liebesbriefangelegenheiten auszuhelfen. Alice Wu macht die Erzählung ihres Films, der unlängst auf dem New Yorker Tribeca-Festival lief und nun eher still bei Netflix gelandet ist, noch um eine Idee komplizierter, denn auch Ellie schwärmt für Aster. So erst entwickeln ihre Worte, die alsbald als digitale Post verschickt werden und die Leinwand zum Monitor aus Textnachrichten verwandeln, besonderen Nachdruck. Sie knüpfen ein Band, das den Realtest dann freilich kaum besteht: Paul bleibt bei den Dates mit Aster einsilbig wie eh und je.

Pionierin mit lesbischem Plot

Alice Wu ist selbst chinesisch-amerikanisch. Ihr Debütfilm Saving Face, in dem sie mit dem Star Joan Chen von einer lesbischen Liebesbeziehung unter Asiatinnen erzählte, liegt 16 Jahre zurück und gilt mittlerweile als Pionierarbeit – es war eine Zeit, in der in den USA noch nicht allzu viel von "awareness culture" die Rede war. Was seine Identitätspolitik betrifft, wirkt The Half of It zurückhaltender, auch stilistisch gibt es mehr Zugeständnisse gegenüber dem Format Teenagerfilm. Dennoch fällt die Comedy durch ihr Bewusstsein der Unvollkommenheit romantischer Anbahnungen in diesem Alter positiv aus der Reihe. Er strebt eben nicht nach falscher Harmonie, sondern will widerstreitende Gefühlslagen abbilden.

Die Newcomerin Leah Lewis ist in der Rolle der zurückhaltenden, zugleich leicht schroffen Ellie, die sich im Lauf ihres Ghostwritertums zu öffnen beginnt, eindeutig die Identifikationsfigur in der ländlichen Gemeinschaft. Die repressive Seiten bleiben hinter Alice Wus verspielt-träumerischen Inszenierung etwas versteckt. Die Bigotterie der Leute wird nur hauchzart angedeutet.

Die überraschendste Figur bleibt Paul, der nicht als einfältiger Landbulle abgeschrieben und zwischen den beiden Mädchen aufgerieben wird. Daniel Diemer verleiht ihm durch sein korpulentes Aussehen den Anschein eines Ogers, der sich jedoch als mildes und mitfühlendes Wesen entpuppt. Und nicht nur das: Auch er entdeckt, dass er die Welt zu schematisch betrachtet hat und dass diese viele noch unbekannte Geschmacksrichtungen kennt. Seinem Faible für hausgemachte Wurst-Tacos tut das keinen Abbruch. (Dominik Kamalzadeh, 15.5.2020)