Bundeskanzler Sebastian Kurz ließ sich in Verteidigungsposition in das "ZiB 2"-Studio schalten – das ist für sich genommen schon bemerkenswert.

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Stärker als sonst merkte man dem Kanzler am Donnerstagabend an, wie wenig er schläft. Nicht nur an den müden Augen war aber zu erkennen, dass Sebastian Kurz die Dimension seines Fehlers bewusst war: Nach seinem Auftritt im Kleinwalsertal, bei dem der vorgegebene Mindestabstand eindeutig nicht eingehalten wurde, ließ sich die Aufregung darüber nicht mehr als Twitter-Strohfeuer abtun. Kurz war in Verteidigungsposition – umso bemerkenswerter, dass er sich zu einem ausführlichen Interview in die "ZiB 2" schalten lässt.

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Das Wissen um einen Fehler bedeutet natürlich noch lange nicht, dass man diesen auch eingesteht. Da ist auf den Kanzler Verlass: Er bat nicht um Entschuldigung, sondern um Verständnis für die isolierten Talbewohner, die sich halt so gefreut hätten, ihn zu sehen. Dass er selbst laut Bericht der Gemeinde den Kontakt zu den Menschen gesucht hat? Dass schon ein kleines Zelt für eine Ansprache vorbereitet war, obwohl es ja keine Versammlung geben sollte? Warum ein angekündigter Politikerbesuch in Pandemiezeiten mit zwei Cobra-Beamten gesichert wird, wenn im Rest des Landes Menschen fürs Parkbanksitzen bestraft werden? Dem wich Kurz in bekannter Manier aus.

Ohne Medienschelte geht's nicht

Die Frage, warum ein Regierungschef in Zeiten, in denen EU-Gipfel per Videokonferenz abgehalten werden, überhaupt zu Besuch in eine Gemeinde in Vorarlberg fahren muss, blieb im Übrigen ungestellt.

Auch die Medienschelte durfte in der Verteidigungsstrategie des Kanzlers natürlich nicht fehlen. Immer wieder kam Kurz auf die Journalisten zu sprechen, die so nah aneinander gestanden seien. Den Unterschied zwischen Pressefotografen, die ihren immer mit Drängelei verbundenen Job ausüben, und entzückten Kanzlerfans, die Selfies machen wollen, unterschlug Kurz.

Kein Taktieren bei Rücktrittsgerüchten?

Zuletzt ließ der Kanzler so etwas wie Authentizität durchblicken. Auf die Rücktrittsgerüchte rund um Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek angesprochen, erklärte er nur: "Entscheidungen wie diese sind höchstpersönliche Entscheidungen." Das klang nicht nach Taktik, auch wenn sie nicht auszuschließen ist. Mehr wollte Kurz nicht sagen. Nur der Hinweis: "Die Staatssekretärin hatte keine einfache Zeit in den letzten Wochen." Das nahm man Kurz ab. (Sebastian Fellner, 15.5.2020)