Seit heute wird wieder serviert.

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Wien – Die Sehnsucht nach der Kaffeehauskultur zeigte sich in Wien gleich am ersten Tag der Gastro-Öffnung. Seit diesem Freitag dürfen Restaurants, Gasthäuser und Cafés wieder Gäste empfangen – und diese bleiben nicht aus. In einem kleinen italienischen Bistro in der Mariahilfer Straße in Wien ist vor 9 Uhr schon viel los. Im Innenraum schlürfen erste Gäste – mit Abstand – ihren Kaffee. Und auch der überdachte Gastgarten ist trotz des schlechten Wetters gut besucht.

"Wir wohnen darüber", begründet eine junge Frau den frühen Besuch in ihrem Stammlokal. Sie habe der Wiederöffnung zwar nicht entgegengefiebert, ein Caffè Latte außerhalb der eigenen vier Wände sei aber eine "nette Abwechslung", wie sie sagt. In den Innenraum des Lokals möchte die Frau nicht unbedingt gehen, sie will auch weiter Räume mit vielen Menschen meiden. "Da will ich lieber draußen sitzen." Sie habe sich vor dem Lokalbesuch jedenfalls über die neuen Regeln informiert. Zu dem Kellner, der selbst aufgrund des großen Ansturms keine Zeit für ein Gespräch hat, muss die Frau und ihre Begleitung jedenfalls nichts sagen. Auch nach vielen Wochen weiß der Ober noch immer, was die Stammgäste morgens trinken.

Viele Gäste und Reservierungen

Ein paar Häuser weiter ist auch schon viel los. Im Café Freiraum sind viele Tische im Erdgeschoß bereits belegt oder mit einer Reservierung versehen. Am Eingang werden Gäste von einer Angestellten mit Plexiglas-Gesichtsschutz begrüßt und zu einem Tisch gebracht. Während der Weg bis zum Sitzplatz mit Mund-Nasen-Schutz absolviert werden muss, dürfen Gäste die Gesichtsbedeckung am Tisch entfernen. Auch beim Gang auf das WC müssen keine Masken getragen werden – das wissen eindeutig noch nicht alle Gäste. Anders sieht es für das Personal aus, das den ganzen Tag Nase und Mund bedecken muss.

Dem Eigentümer des Cafés, Christoph Wagner, steht Erschöpfung und Erleichterung gleichermaßen ins Gesicht geschrieben. "Es war extrem viel Arbeit in den letzten sechs Wochen." Zu Beginn des Lockdowns mussten Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und verderbliche Ware verschenkt oder entsorgt werden. Auch seither stand der Unternehmer nicht still. Das gesamte Lokal wurden renoviert, Plexiglasscheiben montiert, die Karte erneuert und Mitarbeiter weitergebildet. Wagner hat die ganze Nacht durchgearbeitet, um die letzten Vorbereitungen für die Wiederöffnung zu treffen, wie er erzählt. "Wir sind alle wahnsinnig müde, aber die Freude überwiegt."

Fieber messen auf freiwilliger Basis

Wie sich das Geschäft in den nächsten Tagen und Wochen entwickeln wird, traut sich der Café-Eigentümer noch nicht einzuschätzen. Das Lokal habe daher auch noch nicht alle Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurückgeholt. Jene, die nun wieder im Lokal arbeiten, sollen vor Dienstbeginn Fieber messen – jedoch auf freiwilliger Basis. Das soll mehr Sicherheit für Angestellte und Gäste schaffen, erklärt Wagner. Im Café kann man zudem über einen QR-Code kontaktlos bestellen und bezahlen. Das geschehe allerdings nur auf Kundenwunsch, sagt der Gastronom. Für ihn stehe der Kontakt mit seinen Gästen im Vordergrund, daran würde auch Corona nichts ändern.

Für das Vorgehen der Regierung zeigt sich Wagner weitgehend verständnisvoll, die Kommunikation der neuen Regelungen hält er allerdings für verspätet. "Man hätte Dinge früher kommunizieren können." Gemeint ist damit etwa, wann Gäste einen Mundschutz tragen müssen und wann nicht. Eine Liste mit Regeln will man den Kunden jedenfalls nicht vorlegen, sagt Wagner: "Wir wollen eine Oase der Normalität sein."

Sehnsucht nach Gästen und Würstelstand

Sie habe schon große Sehnsucht nach ihren Stammgästen gehabt, berichtet unterdessen eine Verkäuferin in einem Würstelstand im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Seit 26 Jahren verkaufe sie tagein, tagaus Kaisekrainer und Co, die zweimonatige Zwangspause sei hart für sie gewesen. "Ich fliege im siebten Himmel", sagt die strahlende Verkäuferin. Sie sei nach wie vor in Kurzarbeit, am liebsten würde sie aber jeden Tag wieder in die Arbeit kommen. Zwar sei ihr noch nicht ganz klar, wie die Abstandsregeln am Tresen auszusehen haben, aber ein paar Kunden könnten schon gleichzeitig am Stand schnabulieren, meint sie.

Neu ist für die Dame jedenfalls die verkürzte Öffnungszeit. Statt bis fünf Uhr morgens steht sie nur mehr bis 23 Uhr in dem kleinen Stand. Hygienebestimmungen habe es auch vorher schon gegeben, so gesehen habe sich nicht viel verändert, sagt die Verkäuferin. Ungewohnt sei jedoch der Mund-Nasen-Schutz, diesen würde sie am liebsten schon bald wieder loswerden. Vor allem wenn der Grill läuft, sei das Stück Stoff im Gesicht schlicht zu heiß.

Freude über Wiedereröffnung

Auch im Café Europa im siebenten Bezirk ist die Freude über die Wiedereröffnung groß. Es war das erste Mal in der 36-jährigen Betriebsgeschichte, dass das Lokal länger als 24 Stunden geschlossen hatte, erzählt Geschäftsführer Aaron Friesz. "Wir haben die Zeit genutzt, um zu renovieren, das Café neu zu überdenken." Das mit den Richtlinien sei "ein Findungsprozess", sagt Friesz. Wie gut die Regelungen schließlich funktionieren, werde in erster Linie mit ausreichender Kommunikation zwischen Gästen und Personal zu tun haben.

In den Räumlichkeiten wurden einige Barstühle entfernt, die Tische um gut ein Drittel reduziert und einen Meter auseinandergestellt. Auch im Europa tragen die Angestellten Gesichtsschutz, viele Stammgäste schlürfen schon vormittags einen ersten Kaffee. Die Corona-Krise werde das Lokal sicher noch länger begleiten, glaubt Friesz. Nichtsdestotrotz dominiert hier, wie auch bei anderen Wirten in der Wiener Innenstadt, die Freude über den Neustart.

Bier zum Frühstück

In Salzburg saßen pünktlich um sechs Uhr morgens bereits die ersten Stammgäste in der Academy-Bar. Um den Wiedereröffnungstag voll auskosten zu können, wurden die Öffnungszeiten vorverlegt. Auch der Salzburger Schnürlregen konnte rund zwei Dutzend Gäste nicht davon abhalten, das beliebte After-Work-Lokal bereits vor der Arbeit aufzusuchen. Getrunken wurde neben Kaffee auch Sekt und Bier zum Frühstück.

Um die Gäste über die neuen Regeln zu informieren, hat die Bar im Andräviertel "10 Gebote der eiligen Corona" an zwei Tafeln an die Wand geschlagen. Sie lauten etwa: Du solltest Abstand halten, du sollst Maske tragen, und du sollst nicht begehren deines Nächsten Getränk. Unter den morgendlichen Barbesuchern herrschte fröhliche Stimmung – Maskenselfies mit dem ersten Bier in der Hand inklusive.

In der Academy-Bar in Salzburg wurden die neuen Regeln in die "10 Gebote der eiligen Corona" gegossen und schon in der Früh Bier genossen.
Foto: Stefanie Ruep

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite macht das Café Wernbacher vorerst nicht mehr auf. Der Betreiber hat das Traditionscafé im Zuge der Corona-Krise nach 17 Jahren aufgegeben, ein neuer Pächter ist noch nicht gefunden. Im benachbarten Café Fingerlos gingen am Freitagmorgen hingegen bereits einige Salzburger frühstücken. Am Eingang weisen aufgeklebte Streifen auf die Abstandsregeln hin, Papiertischtücher liegen auf den Tischen, und die Kellner und Kellnerinnen tragen alle Masken. Die Speisekarte ist nun auf zwei Zetteln ausgedruckt, die nach der Bestellung unmittelbar entsorgt werden. Zum Ei im Glas gibt es portioniertes Salz im Papiersackerl wie im Flugzeug. Die Tischreservierungen für das erste Wochenende seien gut, sagt die Kellnerin. "Aber die Touristen werden fehlen."

Grazer Schanigärten bleiben leer

Tags zuvor wurde auch in Graz noch gehämmert und gebohrt, die neue Garteninstallation finalisiert, es wurden Stühle und Tische ins Freie getragen, dann aber fiel der von den Wirten und Kaffeehausbetreibern ersehnte Start der Saison buchstäblich ins Wasser. Die neuen Schanigärten der Innenstadt blieben wetterbedingt weitgehend leer. Es lag aber nicht allein an dem von den Eisheiligen versauten Wetter. Die passionierten Kaffeehausgeher zögern offensichtlich noch, ihre zweites Wohnzimmer aufzusuchen.

Das Operncafé etwa, das in Vor-Corona-Zeiten kaum freie Plätze anzubieten hatte, blieb an diesem Freitagvormittag noch weit von der alten Normalität entfernt. Wer sich nicht davon abhalten ließ, in seinem Stammlokal wieder Hof zu halten: Ex-Sturm-Graz-Präsident Hannes Kartnig, vertieft in ein angeregtes Gespräch mit einem ÖVP-Politiker. Die Herrengasse entlang, Richtung Hauptplatz an der linken Seite, hat auch das Sacher wieder aufgemacht – aber auch hier blieb der Besucherandrang noch sehr verhalten. "Die Leute sind einfach noch vorsichtig, das dauert", sagt die Inhaberin einer Innenstadt-Boutique.

Das spürt auch die größte Shoppinginstitution der Stadt, Kastner & Öhler, auf deren oberster Ebene der Freiblick früher zu allen Tageszeiten proppenvoll war. "Es geht für den Anfang", rapportiert einer der zahlreich wartenden Kellner dem inspizierenden, mundbeschützten Firmenchef. Auch gegenüber, in der letzten in der Innenstadt verbliebenen traditionellen Konditorei, König, wartet man noch vergebens auf den Ansturm. Die Sporgasse hinauf, rechts rein in die Hofgasse und hinüber zum Sitz der Landeshauptleute, der Burg, wartet die erste Café-Adresse im Stadtpark, das Promenade. Gäste werden mit der Tafelinschrift empfangen: "Bitte warten Sie, bis Sie einem Tisch zugewiesen werden". Die Wartezeit ist an diesem ersten Öffnungstag aber vernachlässigbar. Der überwiegende Teil der Tische bleibt am Vormittag noch leer.

Das Café Lizette, benannt nach Wirtin Lizette Zöschg, in Hall in Tirol ist zur Freude der Stammkundschaft endlich wieder geöffnet.
Foto: Steffen Arora

Endlich wieder kaffeetscherln

Lizette Zöschg steht die Freude ins Gesicht geschrieben. Auch wenn ihr Lachen von einem Faceshield aus Plastik verdeckt wird. Nach acht Wochen Corona-Zwangspause hat sie am Freitagmorgen ihr Café Lizette in der pittoresken Altstadt von Hall in Tirol wieder aufsperren dürfen. "Ich musste ein paar Tische aus dem Lokal entfernen, um die Abstandsregeln einhalten zu können", erzählt die Wirtin. Dafür sind die verbliebenen an diesem verregneten Freitagvormittag allesamt besetzt. "Es sind vor allem meine Stammgäste, die heute als Erste im Café waren", freut sie sich über die Treue ihrer Kundschaft.

Evelyn und Theres sind zwei davon. Die beiden Damen unternehmen heute eine regelrechte Lokaltour, um die die Rückkehr zur Normalität zu feiern. Lizettes Café, das mit seinen Polstermöbeln und der überbordenden Wanddekoration Wohnzimmerflair hat, ist ihre erste Station. Die vergangenen Wochen haben sie notgedrungen daheim verbracht. "Aber sobald es wieder erlaubt war, haben wir uns im Garten verabredet und zusammen ein Glaserl getrunken", erzählen sie fast so, als hätten sie etwas Verbotenes angestellt.

Wirtin Lizette begrüßt jeden Gast überschwänglich, die Wiedersehensfreude ist enorm. Überhaupt ist die Haller Altstadt trotz grauen, weinenden Himmels von lebendigem Treiben erfüllt. Die Öffnung der Gastronomie wirkt offenbar. (Nora Laufer, Stefanie Ruep, Walter Müller, Steffen Arora, 15.5.2020)