Ex-Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek bei ihrem Rücktritt am Freitag.

Foto: Heribert Corn

Sie war die Falsche für den Job. Und das von Anfang an. Nur viereinhalb Monate währte das glücklose Interregnum von Ulrike Lunacek als oberster politischer Vertreterin der Kulturpolitik. Jetzt hat sie nach massiven Protesten aus der Kunst- und Kulturszene die Reißleine gezogen.

Es ist dies der denkbar schlechteste Moment. Und gleichzeitig die einzige Möglichkeit, die Lunacek in dieser verfahrenen Situation bleibt. Das Vertrauen der Kulturszene, das von Anfang an nicht gegeben war, ist nach ihren glücklosen, aber auch von Fehlern und Pannen gekennzeichneten Auftritten vollends erodiert. An diesem Freitag hätte sie die neuen Öffnungsregeln für den Veranstaltungsbereich und die neuen finanziellen Unterstützungsmaßnahmen verkünden wollen.

Stattdessen musste Ulrike Lunacek ihr Scheitern eingestehen: Im Lauf der Woche sei ihr klar geworden, dass ihr "keine Chance mehr gegeben wurde". In der von Empörung infizierten Kulturszene waren rationale Argumente zuletzt immer schwerer zu vermitteln. Die Parodien und Wutvideos, die offenen Briefe und lautstarken Pressekonferenzen der politischen Gegner wurden mehr und mehr. Als der Kabarettist Lukas Resetarits zuletzt nach dem Rücktritt der Kulturstaatssekretärin gefragt wurde, meinte er lapidar: "Das ist auch schon wurscht." Das nennt man eine verbale Guillotine.

Selbst verbockt

Vieles verbockte Lunacek aber auch selbst. Sie hat es in der Corona-Krise von Anfang an nicht geschafft, eine konstruktive Kommunikation mit der Kunst- und Kulturszene zu etablieren. Zum einen, weil ihr als Metierfremder nur sechs Wochen Zeit gegönnt waren, sich in die Kunst- und Kulturagenden einzuarbeiten. Dann kam Corona, und anstatt ihr Programm abarbeiten zu können, wurde Lunacek zum Teil der Krisenfeuerwehr. In dieser schwierigen Ausnahmesituation rächte sich, dass sie sich mit einem Beraterstab umgeben hatte, der teilweise selbst wenig Kenntnis der heimischen Kunst- und Kulturszene mitbrachte.

Und es rächte sich, dass die Kultur bei der Regierungsbildung wieder einmal mit einem Staatssekretariat abgespeist worden war, obwohl man eine höhere Wertschöpfung aufweisen kann als zum Beispiel die Landwirtschaft. Lunaceks Vorgesetztem, Vizekanzler Werner Kogler, waren die Kunst- und Kulturagenden offensichtlich egal. Eine nicht unbeträchtliche Schuld an ihrem Scheitern liegt bei ihm. Koglers Unkenntnis, seine mangelnde Unterstützung und sein schnoddriger Umgang mit Kulturschaffenden wogen in Lunaceks Rucksack schwer.

Anstatt sich neue Verbündete und Unterstützer zu suchen, verpasste Lunacek vor allem in der Anfangszeit der Krise die Chance, Gehör bei den Betroffenen zu finden. Vielleicht weil sie deren Sprache nicht sprach oder weil sie es schlichtweg gar nicht versuchte. Nach der bereits legendären und katastrophal verunglückten Pressekonferenz vom 17. April meldeten sich der Reihe nach die wichtigsten Vertreter der heimischen Kulturszene mit der immer gleichen Frage: Warum, um Himmels willen, habe die Kulturstaatssekretärin nicht im Vorfeld mit ihnen gesprochen? Ja, warum?

Ihr Bemühen ist zu schätzen

Die politischen Bande mit dem türkis-grünen Regierungsteam wogen schwerer, als sich für die Belange jener einzusetzen, für die Lunacek zuständig war. Noch in ihrer Rücktrittspressekonferenz hob die ehemalige Europaparlamentarier die prekären Verhältnisse vieler Künstlerinnen und Künstler hervor und kündigte an, dass all jene, die aus dem Notfallfonds beschämende 500 Euro bekommen haben, bald weitere 500 erhalten sollen. Lunaceks Bemühen, sich für die Schwächsten der Kulturbranche einzusetzen, kann man gar nicht hoch genug schätzen. In den vergangenen zwei Monaten kam die Unterstützung der prekär arbeitenden Künstlerinnen und Künstler aber zu kurz. In Bayern bekommen Künstlerinnen und Künstler monatlich 1.000 Euro als Unterstützung, die Schweiz spannte sogar über der gesamten Kunst- und Kulturszene einen großen Rettungsschirm auf.

Davon ist Österreich immer noch weit entfernt. Es wird schon so sein, dass Lunacek zwischen den Erfordernissen der Gesundheitspolitik ihres Parteikollegen Rudi Anschober und den finanzpolitischen Überlegungen ihres Vorgängers und mittlerweile Finanzministers Gernot Blümel aufgerieben wurde. Vieles von dem, was Anschober für notwendig erachtete und Blümel an Geldern nicht freigab, wurde der Kulturstaatssekretärin in die Schuhe geschoben. Zuletzt kam dann auch noch der Rücktritt des neuen Art-for-Art-Geschäftsführers, eines mutmaßlichen Hochstaplers, als weiteres Pfand dazu.

Krise über Lunacek hinaus

Lunacek schaffte es nicht, sich in der schwierigen innenpolitischen Gemengelage Gehör zu verschaffen. In Kombination mit einer Vielzahl eigener Fehler ergibt das eine kulturpolitische Krise, die leider weit über die Person Lunaceks hinausweist. Ihre Integrität ist unbestritten, ebenso ihr ehrliches Bemühen für die Sache. Jetzt muss es darum gehen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Dort steckt er momentan tief fest. Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen wird Lunaceks Nachfolgerin (es wird nach der Arithmetik der Grünen eine Frau sein müssen) hoffentlich helfen, die Kulturszene zu beruhigen. Für diese kommt Lunaceks Rückzug zu einem denkbar ungeeigneten Zeitpunkt. Bei vielen Kulturschaffenden geht es um die Existenz, bei vielen Kultureinrichtungen ums Überleben. Jetzt hat die Kultur gar keine Stimme mehr. Das muss sich ändern. Die Kultur braucht eine starke Stimme. Und zwar sehr, sehr schnell. (Stephan Hilpold, 15.5.2020)