Herrlich: "Ich bin meiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden."

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Augsburg – Es war schon später Abend, als Heiko Herrlich am Donnerstag die vermutlich schwierigste Ansprache seiner 15-jährigen Trainerkarriere halten musste. Der Coach des abstiegsbedrohten deutschen Fußball-Bundesligisten FC Augsburg sollte den eigens aus ihren Zimmern geholten Profis seinen peinlichen Quarantäne-Fauxpas erklären – und wie er dabei arglos ins Abseits gelaufen war. Für Handcreme und Zahnpasta!

Geständnis

"Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Hotel verlassen habe", wurde Herrlich kurz darauf in einer Pressemitteilung des Klubs zitiert. Er werde daher "konsequent sein und zu meinem Fehler stehen". Das bedeutet: Der 48-Jährige wird beim Liga-Restart gegen den VfL Wolfsburg am Samstag (15.30 Uhr/Sky) nicht auf der Bank der Schwaben sitzen, sein wegen Corona schon einmal verschobenes Debüt fällt erneut aus. Am Freitag beim Training wurde er von Assistent Tobias Zellner vertreten, der den FCA auch gegen die Wölfe betreuen soll.

Ausgerechnet Herrlich! Der frühere DFB-Nationalspieler bezeichnete sich wegen eines im Jahr 2000 entfernten Hirntumors zuletzt selbst als "Risikopatient". Umso überraschender kam seine Einkaufs-Anekdote bei der Spieltags-Pressekonferenz. "Wir sind im Hotel in Quarantäne und sollen da eigentlich auch nicht rausgehen, aber es gibt halt Situationen, die es einfach erfordern", sagte er. Ein Notfall? Etwas Familiäres? Nein, Herrlich brauchte Zahnpasta und Handcreme, also ging er in einen nahen Supermarkt.

"Handcreme-Heiko"

Hohn, Spott, aber auch scharfe Kritik ließen nicht lange auf sich warten. Im Netz wurde Herrlich als "Handcreme-Heiko" veräppelt, in der Online-Kommentarspalte der Augsburger Allgemeinen hieß es: "Der FCA ist das Gespött des Tages". Herrlich, meinte ein Leser, "sollte eigentlich sein Traineramt gar nicht mehr antreten". Das aber schloss der FCA bereits aus. Nach zwei negativen Tests werde der Nachfolger von Martin Schmidt seinen Job wieder aufnehmen, hieß es in der Stellungnahme.

Doch der Fall wirft ähnliche Fragen auf wie zuvor jener des Berliner Stürmers Salomon Kalou oder von Union-Coach Urs Fischer. Und er zeigt, auf welch tönernen Füßen der Restart steht. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte das Hygiene-Konzept der Liga, gegen das Herrlich jetzt verstoßen hat, im SID-Gespräch "nicht wasserdicht". Spieler und Trainer seien in einer "schizophrenen" Lage. Und eben auch nur Menschen, die Fehler machen.

In Gedanken beim Spiel

Herrlich beschrieb detailliert seine Probleme beim Einkaufen. Etwa mit der Corona-Maske, die er zunächst im Hotel in Bobingen nahe der WWK-Arena vergessen hatte. Weil sich in seinem Kopf schon alles um das Wolfsburg-Spiel drehte, vergaß er sogar trotz Ermahnung durch eine Verkäuferin zunächst, sich einen Wagen zu holen. Am Ende sei er froh gewesen, trotz FCA-Trainingsanzug hinter seiner Maske nicht erkannt worden zu sein. "Die hätte sich auch gedacht: Was haben wir da für einen Trainer geholt?"

Als das Kind in den Brunnen gefallen war, beteuerte Herrlich, er habe sich "sowohl beim Verlassen des Hotels als auch sonst immer an alle Hygienemaßnahmen gehalten". Allerdings könne er seinen Fehler "nicht ungeschehen machen". Sein bitteres Fazit: "Ich bin meiner Vorbildfunktion (...) nicht gerecht geworden."

Mit dem Verzicht kam er wohl einer Intervention der DFL zuvor. Diese betonte in ihrem Konzept, dass die Klubs Risikopatienten "nach Möglichkeit" von Training und Spielen ausschließen sollten. Im Falle einer "Unentbehrlichkeit" wie etwa bei Trainern müsse der Betroffene über das "individuelle Risiko in Kenntnis gesetzt" werden. Bei Herrlich war dies der Fall. Er habe für sich bewusst beschlossen, damit zu leben, sagte er, "weil ich mich auf die Aufgabe freue". Dieser darf er jetzt aber erst einmal nicht nachgehen. (sid, 15.5.2020)