Bastian Obermayer (links) und Frederik Obermaier von der "Süddeutschen Zeitung". Sie veröffentlichten federführend das Ibiza-Video und sorgten damit in Österreich für ein politisches Erdbeben.

Foto: APA/Stephanie Füssenich

STANDARD: Am 17. Mai 2019 um 18 Uhr sind die "Süddeutsche Zeitung" und "Der Spiegel" parallel mit dem Ibiza-Video rausgegangen. Ein Jahr später: Welche Gedanken kommen Ihnen in den Sinn, wenn Sie noch einmal an die Minuten vor der Veröffentlichung denken?

Bastian Obermayer: Wir waren sehr nervös. Wir hatten den ganzen Tag hektisch alle Texte fertig produziert, uns mit Chefredaktion und den Juristen gestritten und dann kurz vor Schluss noch einen Fehler im Haupttext entdeckt, was eigentlich echt nicht passieren darf. Und die seltsam zurückhaltende Verteidigung von Heinz-Christian Strache, der "bsoffene Abend", das hat uns irritiert, wir haben das nicht verstanden. Dann waren wir durch mit der Produktion – und haben festgestellt: Wir haben keine Ahnung, was da auf uns zukommt, und wir haben auch nicht wirklich drüber nachgedacht den ganzen Tag vor lauter Aktionismus. Und dann ist alles explodiert.

STANDARD: Jetzt – in Corona-Zeiten – verbringen viele Leute den Großteil ihrer Zeit zu Hause und hätten sicher Lust, das gesamte siebenstündige Video anzusehen. Werden Sie ihnen den Gefallen machen und das gesamte Material veröffentlichen?

Frederik Obermaier: Ich verstehe nur zu gut, dass viele Österreicher und Österreicherinnen das Video gerne anschauen würden. Das geht aber aus vielerlei Gründen nicht. Da wäre zunächst einmal der Quellenschutz und das deutsche Presserecht, das eine Veröffentlichung in Gänze nicht gestattet. Und dann gibt es auch noch Passagen, in denen Strache unbestätigte oder falsche Gerüchte über Dritte verbreitet, das dürfen wir aus ganz anderen Gründen nicht veröffentlichen.

STANDARD: Sie argumentieren damit, dass Sie das gar nicht dürften. Wer verbietet es Ihnen?

Obermayer: Das deutsche Medienrecht besagt, dass Video- und Tonaufnahmen, die ohne Wissen der Beteiligten erstellt worden sind, nicht veröffentlicht werden dürfen – außer die Bedeutung des Inhalts ist von dermaßen überragendem öffentlichem Interesse, dass die Veröffentlichung eben doch in Ordnung geht. Unsere Juristen sehen diese Bedingung für die von uns veröffentlichten Teile als erfüllt an. Verstehen Sie uns nicht falsch, auch der Rest des Videos ist weitgehend von hohem öffentlichem Interesse, nur deswegen durften wir auch diese Passagen in der Zeitung und in unserem Buch ausführlich beschreiben.

STANDARD: Strache hatte gegen Sie Anzeigen aufgrund der Veröffentlichung des Videos eingebracht, die Staatsanwaltschaft München hat das Ermittlungsverfahren eingestellt und begründet das mit dem überragenden Interesse der Öffentlichkeit an den Vorkommnissen. Sind gegen Sie noch Verfahren anhängig?

Obermaier: Meines Wissens nicht. Sowohl die Staatsanwaltschaft Hamburg als auch die in München haben die Verfahren eingestellt. Die aufgedeckten Vorgänge seien von "enormer historisch-politischer Bedeutung", hieß es in Hamburg. Es gebe ein "überragendes Interesse an der Berichterstattung", erklärte die Staatsanwaltschaft München.

STANDARD: Heinz-Christian Strache behauptet nach wie vor, dass ihn das gesamte Video entlasten würde und er sich gesetzlich korrekt verhalten hätte. Teilen Sie seine Meinung?

Obermayer: Sicher nicht, und ich glaube auch nicht, dass das seine ehrliche Meinung ist. Er weiß vermutlich ziemlich genau, dass er selbst den absurden und potenziell illegalen Deal vorgeschlagen hat, der Strabag alle Aufträge zu entziehen und der Oligarchennichte zu geben. Auch seine Bestätigung von Staatsaufträgen mit Überpreis klingt für mich nicht "korrekt", genauso wenig wie die geschilderte Umgehung des Rechnungshofs durch Spenden an Vereine, die der FPÖ nahestehen.

Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache waren auf Ibiza – und mehrere Kameras mit ihnen.
Foto: APA/AFP/SPIEGEL and Sueddeutsche

STANDARD: Strache bereitet sein Polit-Comeback vor und möchte bei der kommenden Wien-Wahl antreten. Die Chancen, dass er den Einzug in den Wiener Landtag schafft, sind laut Umfragen nicht so schlecht. Hätten Sie das vor einigen Monaten für möglich gehalten?

Obermaier: Nein, ganz gewiss nicht.

STANDARD: Johann Gudenus musste von der politischen Bühne abtreten, Strache ist wieder da. Wäre ein derartiges Comeback auch in Deutschland möglich?

Obermayer: Ach, Deutschland ist jetzt auch keine Insel der sauberen und reinen Politikerseelen, und auch hier sind seltsame Sachen passiert. Unser Wolfgang Schäuble musste als CDU-Chef zurücktreten wegen einer Spende von 100.000 Mark, die in bar von einem Waffenhändler kam. Später wurde er – ausgerechnet – Finanzminister und Innenminister und ist heute Präsident des Bundestags.

STANDARD: Der U-Ausschuss zum Ibiza-Video startet in Kürze, ein ganzer Rattenschwanz an Ermittlungen ist die Folge des Ibiza-Videos. Ihrer Einschätzung nach: Was wird übrigbleiben?

Obermaier: Das haben jetzt die Mitglieder des U-Ausschusses, die vielen Ermittler und am Ende wohl auch Österreichs Gerichte in der Hand. Was Strache auf Ibiza gesagt hat, haben wir zusammen mit unseren Kollegen vom "Spiegel" vor einem Jahr berichtet. Seither hat sich vieles offenkundig bewahrheitet, was Strache in der Finca beschrieben oder angedeutet hat. Denken Sie nur an die FPÖ-nahen Vereine oder die Casinos-Affäre. Und dann ist da auch noch die Sache mit den Bargeldbündeln, die in Straches Dienstwagen fotografiert worden sind, dazugekommen. Da steht nicht weniger als der Verdacht des Mandatskaufs im Raum.

STANDARD: Wenn Sie die Ereignisse – von der Veröffentlichung über Neuwahlen bis zu Türkis-Grün – Revue passieren lassen: Was hat Sie am meisten überrascht?

Obermaier: Die Chuzpe, mit der Strache noch immer behauptet, eine reine Weste zu haben – und der Erfolg, den Kanzler Kurz damit hatte, vergessen zu machen, dass er es war, der Strache, Kickl und Co überhaupt erst in die Regierung geholt und damit hoffähig gemacht hat.

STANDARD: Wurde Ihnen bereits Geld angeboten, wenn Sie das Video herausrücken?

Obermayer: Ja, mehrmals. Aber ohne Erfolg.

Obermaier: Um das ganz klar zu sagen: Wir haben für das Video weder Geld gezahlt, noch werden wir es für Geld verkaufen.

STANDARD: Nachdem das Ibiza-Video und die Folgen wieder im Fokus sind: Gibt es noch Beschimpfungen oder Drohungen gegen Sie, oder hat sich die Lage schon längst normalisiert?

Obermaier: Leider bekommen wir immer noch regelmäßig Drohungen. Erst vor ein paar Tagen schrieb mir und meinen Kollegen jemand: "Wir haben genug Munition, um jeden von euch mit Genickschüssen zu beseitigen." Ob das was mit der Ibiza-Affäre zu tun hat? Vermutlich eher nicht. Leider haben wir uns auch mit anderen Recherchen – etwa den Panama Papers oder den China Cables – nicht nur Freunde gemacht.

STANDARD: Vom Nannen-Preis abwärts regnet es Journalistenpreise für die Recherchen zum Video und die daraus resultierende politische Sprengkraft, die es entfaltete. Welche Bedeutung messen Sie diesen Auszeichnungen bei? Immerhin gibt es Leute, die meinen, es sei nicht die hohe Kunst des Journalismus, ein zugespieltes Video zu veröffentlichen?

Obermayer: Wissen Sie, keiner von uns beiden ist Journalist geworden um Preise zu gewinnen. Und wir werden hier auch nicht unsere Arbeit beurteilen, das sollen andere tun, und die machen das auch. Wir haben in Österreich eine Reihe von Menschen, die uns gut finden, und ein paar, die uns nicht so gut finden – so ist das nun mal. Manchmal ist es ein wenig durchsichtig, wenn Straches Freunde in der Medienbranche auf ihren Kanälen gegen "SZ" und "Spiegel" hetzen, aber das können wir schon ab. Umso mehr freuen wir uns über die vielen positiven Reaktionen auf unser Buch und unsere Recherchen, die wir ja auch aus Österreich bekommen.

STANDARD: Retrospektiv: Würden Sie heute etwas anders machen?

Obermaier: Ich würde für den Abend der Veröffentlichung kein Treffen mit Familie und Freunden mehr vereinbaren. Denn das hatte ich leider gemacht – und kam gehörig zu spät. (Oliver Mark, 17.5.2020)