Berndt Querfeld rollt den ersten Gästen des Landtmann um Punkt halb acht in der Früh den roten Teppich aus und überreicht feierlich ein Törtchen mit Sprühkerze. "Das ist für uns alle ein emotionaler Moment", sagt er mit Blick auf die versammelte Riege seiner Kellner. Zwei Monate lang hielt Querfeld seine zehn Traditionskaffeehäuser in Wien infolge der Corona-Krise geschlossen. Am Freitag wurde die Gastronomie österreichweit aus dem Tiefschlaf geholt. Nebel hängt über der Innenstadt, Regen und Wind lassen Passanten mit eingezogenen Schultern durch die Gassen eilen.

Kellner haben Maskenpflicht, Gäste müssen einen Meter Abstand wahren. Der Kaffee und das Punschkrapferl schmecken so gut wie vor der Krise.
Foto: Christian Fischer

Zwei Geschäftsleute stecken vorm Landtmann unter einer Wärmelampe mit gebührlichem Abstand von einem Meter die Köpfe zusammen. Auf dem Tisch Eierspeis mit Schnittlauch und Salzstangerl. Beide erinnert das Café an ein großes Besprechungsbüro. Die Preise seien natürlich gepfeffert, doch keiner störe sich daran, wenn man Stunden vor einem einzigen Cappuccino verbringe. Lust, wichtige geschäftlichen Essen noch länger auf private Terrassen zu verlegen, haben sie keine mehr. "Es braucht dafür einfach neutralen Boden."

Kein Tischtuch

Im Landtmann ist die Hälfte der Sitzplätze ausgeräumt. Speisekarten werden persönlich gereicht und desinfiziert, Salz- und Pfefferstreuer ebenso. "Unser Tisch, unser Kellner, wie ist uns das alles abgegangen. Nur das Tischtuch ist weg, das ist uns gleich aufgefallen", sinniert ein Paar, das hier vor Ausbruch von Covid-19 regelmäßig vor der Arbeit frühstückte und es weiter so pflegen will. "Essen zu gehen ist das Mindeste, was man tun kann, um die Wirtschaft anzukurbeln." Ihr sei in der Krise bewusst geworden, wie sehr sie Dienstleistungen wie diese schätze, ergänzt eine Unternehmensberaterin einige Tische weiter. Ihr Gegenüber, eine Personalchefin, nickt zustimmend: Es schmecke halt einfach auch besser als daheim.

Rückkehr in den Alltag im Café Jelinek, zumindest auf den ersten Blick.
Foto: Christian Fischer

Eine Stunde später hat sich Herr Tom auf Tisch C1 vor dem Schwarzen Kameel eingefunden, vor sich zwei Eier im Glas, Orangensaft und Chili. "Ein Geheimtipp", verrät er und beobachtet vergnügt das geschäftige Treiben rundum. "Das waren Wochen der Entbehrung, ich habe mich gefühlt wie auf Entzug", rufen ihm Bekannte beim Vorbeigehen zu. Herr Tom, an dem nichts an die Schickeria erinnert, die im Kameel gern Hof hält, gehört zum Inventar des Restaurants. Der Platz rechts neben dem Eingang ist für ihn täglich so gut wie reserviert.

Er fühle sich wie ein Kind zu Weihnachten, sagt er und erzählt von Wochen kulinarischer Enthaltsamkeit, in denen er sich von Semmeln vom Anker mit Butter ernährte. Er habe seit 55 Jahren keinen Kochtopf auf den Herd gestellt. "Selbst kochen zu beginnen – dazu wird mich auch Corona nicht zwingen."

Oleander-Elefanten im Kameel

Im Kameel hat Eigentümer Peter Friese hundert Oleanderbäume aufgestellt, "kleine Elefanten als Abstandswahrer", erläutert er, geschützt hinter einer Maske aus Plexiglas. Die Krise betrachtet er als Unfall, an dem keiner Schuld trage. Nach der Operation gehe es nun an die Rehabilitation, die wohl ein Jahr währen werde. Schaffe er in dieser Zeit die Hälfte des üblichen Umsatzes, sei er mehr als dankbar, sagt er. Für die kommenden zwei Wochen ist sein Lokal jedenfalls abends voll ausgebucht.

Ein schneller Kaffee vor der Aida trotz strömenden Regens. Für Mitarbeiter der MA 48 gab es in der ausgestorbenen Wiener Innenstadt in den vergangenen Wochen wenig zu tun.
Foto: Christian Fischer

Gleich nebenan vor der Konditorei Aida genehmigen sich Mitarbeiter der MA 48 einen schnellen Kaffee. Angenehm wenig Arbeit habe es hier in den vergangenen Wochen gegeben, erzählen sie. Ganz anders als in Außenbezirken, in denen sich der Müll getürmt habe. "Die Leute haben in der Quarantäne ihre Wohnungen geputzt und ausgeräumt." Aber letztlich sind die vier doch froh, dass mit der offenen Gastronomie wieder mehr Leben in die Straßen zurückkehrt. "Graben, Stephansplatz – alles wie ausgestorben, Wien war eine Geisterstadt."

Nur das Summen des Kühlschranks

Mentor Halper, der in dritter Generation den Rüdigerhof in Wien-Margareten samt Schanigarten führt, ist froh, nicht von Touristen leben zu müssen, sondern auf seine Stammgäste vertrauen zu dürfen. Er hat den Shutdown halbwegs gut überstanden, der Schrecken darüber sitzt ihm aber noch im Nacken. In seinem ganzen Leben sei der Rüdigerhof bis Corona nicht einmal geschlossen gewesen. "Plötzlich war nur noch das Summen des Kühlschranks zu hören."

Wiedersehen alter Freunde am Würstelstand an der Rechten Wienzeile. Die Isolation der letzten Wochen haben sie satt. "Würden wir sonst bei dem Regen hier stehen?"
Foto: Christian Fischer

Halper putzte das Retro-Charme versprühende Lokal bis in die letzte Ritze und überzog die Polstermöbel neu. Zumindest eine Sitzreihe, dann gingen ihm Stoff und Geld aus. Aus den letzten Resten ließ er Masken für Mitarbeiter und Gäste schneidern. Alle Bierdeckel hat er aus Hygienegründen verbannt und nahezu jeden zweiten Tisch im Dienste der gesunden Distanz mit rot-weiß-roten Absperrbändern versehen.

Kurz vor zehn Uhr beehrt ihn eine erste Besucherin, schüttelt den Regen aus den ergrauten Haaren und bestellt ein großes Bier. Wie eine halbe Ewigkeit sei ihr die Zeit ohne ihr Kaffeehaus vorgekommen, seufzt sie und zupft an ihrem pechschwarzen Mundschutz, den ein Konterfei des Bundeskanzlers Sebastian Kurz ziert. Nein, Fan von ihm sei sie keiner, ganz im Gegenteil. Die Österreicher habe er "zu einem Volk getreuer Jasager gemacht, die trotz vielfach paranoider Anweisungen widerspruchslos parieren".

Mentor Halper führt in dritter Generation den Rüdigerhof. Künftig hinter Plexiglas, ohne Bierdeckel und mit rot-weiß-roten Absperrbändern. Die Stammgäste lassen sich davon nicht stören.
Foto: Christian Fischer

Einen Bezirk weiter füllt sich tröpfchenweise das Café Jelinek. Einzelne Logen wurden mit Plexiglas voneinander getrennt. Dank großzügiger Räume verzichten Gäste nur auf ein Zehntel ihrer Sitzplätze. Zeitungen liegen auf den Tischen, Gespräche plätschern leise vor sich hin. Sie hätten die freie Zeit durchaus genossen, räumen einige Kellner offen ein. Mittlerweile aber sei jeder wieder froh, seiner Arbeit nachgehen zu dürfen, zumal das Trinkgeld ja ein nicht unbeträchtlicher Teil des Einkommens sei. "Schaffen wir es, zwei Drittel unseres bisherigen Umsatzes zu erzielen, sind wir glücklich und zufrieden."

Gleich daneben wartet das Steman kurz vor Mittag auf den ersten Ansturm hungriger Wiener. Das Restaurant, ein traditioneller Treffpunkt in Mariahilf, ist die ersten Tage bis auf den letzten verfügbaren Platz reserviert. Sie habe Lampenfieber, bekennt die Kellnerin und lacht. "Aber es wird sich wohl alles rasch einspielen." Sie sei vor allem auf das Zwischenmenschliche gespannt. "Jeder freut sich wieder auf Ansprache."

Im Café Frauenhuber im ersten Wiener Bezirk sind die Gäste und der Betreiber gut gelaunt am Freitag
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"Wie zu Kaisers Zeiten"

Diese vermissten auch drei knorrige ältere Herren, die sich für eine Flasche Bier an einem Würstelstand nahe dem Naschmarkt zueinandergesellen. "Abstand halten", mahnt einer augenzwinkernd einen jeden, den der Duft der Käsekrainer anzieht. "Wobei, man kommt sich ja vor wie ein Depp, wenn man das jüngste Bad des Herrn Kurz in der Menschenmenge gesehen hat." Die kleine Truppe hat die Isolation daheim jedenfalls gehörig satt. "Würden wir sonst bei dem grauslichen Regen hier stehen?" Ganz geschwollene Füße habe er in den vergangenen Wochen vom vielen Herumsitzen bekommen, klagt einer. Und in "den bleden Fernseher" werfe er keinen Blick mehr.

Punkt halb acht öffnete das Landtmann am Freitag seine Türen. Für die ersten Besucher rollte das Traditionscafé den roten Teppich aus.
Foto: Christian Fischer

Die von der Stadt Wien versprochenen Gutscheine für Gastronomie von bis zu 50 Euro pro Haushalt finden am Würstelstand wie in kostspieligeren Etablissements wenig Anklang. Wie zu Kaisers Zeiten werde da gnädig Geld ans Volk verteilt, tönt es vielerorts. Die in Summe rund 40 Millionen Euro sollten lieber in den darniederliegenden Kulturbetrieb investiert werden. (Verena Kainrath, 15.5.2020)