Es geht wieder los! Bis zu den Ferien müssen die Schülerinnen und Schüler eine ganze Reihe neuer Regeln einhalten – Abstand halten etwa.

APA / Hans Punz

Bildungswissenschafter Stefan Hopmann von der Universität Wien.

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Nächste Etappe bei der Rückholaktion in die Schulen: Ab Montag sind die Sechs- bis 14-Jährigen dran. Über das Wie gab es während der Corona-bedingten Zwangspause zeitweise widersprüchliche Informationen des Bildungsressorts. Jetzt gilt es, alle Verordnungen bestmöglich umzusetzen. Bildungsexperte Stefan Hopmann hält wenig vom Plan des Ministeriums.

STANDARD: Halten Sie den Unterrichtsstart, so wie ihn Österreich gerade macht, für richtig?

Hopmann: Nein.

STANDARD: Wieso nicht?

Hopmann: Die Frage ist: Warum öffnet man? Da gibt es zwei Strategien: Entweder macht man das aus psychosozialen Gründen, dann geht es um Gemeinschaftserfahrung, und man fängt typischerweise mit jenen an, die mit der Belastung am schlechtesten umgehen können – also Kindergarten- und Volksschulkinder und jene, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen. Dann verzichtet man aber auch auf Schularbeiten oder zentrale Prüfungen. Die zweite Strategie ist: Man will so viel wie möglich vom Schuljahr retten. Dann fängt man typischerweise in Übergangs- und höheren Klassen an und hält, so weit es geht, an Examenserwartungen fest. Minister Heinz Faßmann bemüht die Rhetorik aus Bereich eins und verordnet die Strategie aus Bereich zwei.

STANDARD: Ab Montag sitzen wieder 700.000 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren in der Schule. Die haben insgesamt nur ein paar Tage Unterricht bis zum Beginn der Sommerferien. Bringt's das?

Hopmann: Natürlich bringt das nichts. Man hätte sich einen Haufen Probleme erspart, wenn man sich von vornherein auf Strategie eins verständigt hätte. Unnötigerweise sind die Schulleitungen jetzt mit einer Verordnungsflut und immer neuen Regeln konfrontiert. Man hat das Gefühl, das Ministerium denkt immer nur an die AHS und erst später fällt ihnen auf: Oh Schreck! Es gibt ja auch andere! Dann liefern sie völlig wahllos Sachen nach. Irgendwie werden es die Lehrkräfte trotzdem hinbekommen, sind sie doch Improvisation gewohnt.

STANDARD: Wie hätte man das anders handhaben sollen?

Hopmann: Man hätte sagen sollen, es geht unter diesen Umständen nicht, das Schuljahr ordnungsgemäß abzuschließen. Wir lassen das mit der Zentralmatura und Übergangsprüfungen also sein. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die zuvor erwähnten Gruppen. Ohne Druck, ohne Drohung. Dann wären weniger Kinder an den Schulen, es bräuchte keine komplizierte Logistik. Es gibt viele Länder, die das so gemacht haben. Zum Beispiel England, Frankreich, Norwegen, die Niederlande. Das sind ja nur die Pisa-posttraumatischen Länder, die sich so aufführen wie Österreich.

STANDARD: Für Schülerinnen und Schüler der Deutschförderklassen gibt es eine Prüfung, die über den Wechsel in die Regelklasse entscheidet. Zuletzt mit dem Zugeständnis, dass dieser Test auch im Herbst möglich ist, wenn davor eine Summer-School besucht wird?

Hopmann: Da hat Faßmann weiche Knie bekommen. Da treffen sich die Schülerinnen und Schüler dann zwei Wochen mit Lehramtsstudierenden, die mehrheitlich keinerlei Ausbildung haben, um Deutsch als Zweitsprache zu vermitteln. Was sollen die da lernen? Es wäre viel sinnvoller, das zu tun, was die Forschung empfiehlt: Sprachförderung muss nahe am und am besten integriert mit dem Regelunterricht erfolgen. Alles andere ist Augenauswischerei ...

STANDARD: Man kann die Deutschförderklassen grundlegend kritisieren, es gibt sie aber: Hätte man die Testung aussetzen sollen?

Hopmann: Natürlich! Es war ja jetzt kein Deutschförderunterricht möglich.Die ganze Strategie zwei legt die Hauptlast auf diejenigen, die von der Corona-Krise ohnehin schon härter getroffen sind. Also die mit weniger sozialen, kulturellen oder ökonomischen Ressourcen werden zusätzlich noch mal schulisch belastet. Das ist natürlich Absicht.So kann man nach außen suggerieren, wir müssen uns nur um ein paar Problemfälle kümmern.

STANDARD: Wie müsste eine Summer-School aussehen, damit sie Sinn macht?

Hopmann: Gar nicht. Ich hoffe, die Kinder gehen in den Park spielen und haben Spaß. Als schulische Maßnahme ist das nicht ernst zu nehmen.

STANDARD: Warum nicht?

Hopmann: Wie viel kann ich erwarten, wenn eine unerfahrene Hilfskraft für ein paar Stunden mit einem Haufen ihr unbekannter Kinder, die eigentlich sehr unterschiedlicher Fördermaßnahmen bedürfen, irgendwelche Übungen macht? Wenn selbst professionelle Förderung, wenn sie nicht eng mit dem jeweiligen Unterricht verzahnt ist, kaum nachhaltige Wirkung entfaltet?

STANDARD: So mancher hofft, dass die Corona-Krise zu einer Neuausrichtung im Bildungsbereich führt. Sie auch?

Hopmann: Corona zeigt die Stärken und Schwächen des Systems. Wir haben zum Beispiel gelernt, zu welch irrsinnigen Anstrengungen unsere Schulen fähig sind – Stichwort Distance-Learning. Wir haben gelernt, wie engagiert die Eltern und natürlich die Kinder und Jugendlichen sind. Es wäre ungeheuer traurig, dieses Potenzial wieder einschlafen zu lassen. Die weniger schöne Seite: Wir setzen auf eine Schule, die primär auf Konkurrenz und Wissensvermittlung ausgerichtet ist. Für Krisenzeiten, wo wir Verständigung, Solidarität und Zusammenarbeit brauchen, ist das nicht unbedingt die beste Vorbereitung.

Heute ist Schulstart für rund 700.000 Schüler an Volksschulen. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) besuchte die Volksschule in Brunn am Gebirge.
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STANDARD: Wo verbuchen Sie das neu entdeckte E-Learning? Und was wird davon bleiben?

Hopmann: Natürlich werden wir jetzt das Hohelied aufs E-Learning hören – es ist auch ein millionenschwerer Markt. Es ist klar, dass sich die Schule mit der virtuellen Welt auseinandersetzen muss, die ist ja auch Teil der Lebensrealität der Jugendlichen. Die Aufgabe von Schule ist aber nicht, selbst Youtube-Filme zu produzieren, sondern einen kritischen Umgang mit diesen Medien zu vermitteln.

STANDARD: Heißt, Ihre Skepsis überwiegt?

Hopmann: Schauen Sie Richtung USA. Dort gibt es Schulbezirke, die auf eine Drei- oder Viertagewoche übergehen, um Geld zu sparen. Ansonsten wird auf E-Learning verwiesen. Bei schlanken öffentlichen Kassen kann dieses System auch zu uns schwappen. Die Gefahr ist, dass die E-Learning-Erfahrung missbraucht wird, um die sozialen Unterschiede zuzuspitzen. Das volle Schulprogramm – also mit einer guten Lehrkraft in einer kleinen Klasse zu lernen – wird zum Privileg jener, die sich das leisten können.

STANDARD: Aber für Österreich klingt das nicht sehr realistisch.

Hopmann: Bei uns geschieht die Fragmentierung des Schulwesens im Vergleich zu anderen Ländern nur zögerlich, weil wir ein gutes Niveau im öffentlichen Bereich haben. Die Fluchtgründe für bürgerliche Eltern sind daher nicht überall gleich dringlich. Aber auch in Österreich werden ständig neue Privatschulen gegründet. Das ist ein weltweites Phänomen, dass die öffentlichen Schulen zu einer Art Restschule werden, für all jene, die nicht entkommen können.

STANDARD: Der Schule im Herbst entkommt jedenfalls kaum jemand – wird bis dahin alles wieder in gewohnten Bahnen laufen?

Hopmann: Das weiß ich nicht. Das sind ja komplizierte Balanceakte. Wie Schule laufen soll, wird ja nicht primär nach pädagogischen Gründen entschieden, sondern im Spannungsfeld von Politik, Virologie und Wirtschaft.Und dann gibt es die ganz banalen Dinge – etwa ob an allen Schulen die Sanitäranlagen überhaupt funktionieren. (Peter Mayr, Karin Riss, 18.5.2020)