Bernhard Perchinig: Junge würden für Job Infektion riskieren.

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Wien – Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plädiert dafür, und laut der Politberaterin und Vertrauten des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, Antonella Mei-Pochtler, diskutiert die heimische Bundesregierung hitzig über sie: Corona-Immunitätsausweise. Dokumente, die Menschen nach einer überstandenen Infektion mit dem neuartigen Virus als solche erkennbar machen, erscheinen angesichts der derzeitigen Perspektive langfristiger Einschränkungen wegen Covid-19 vielen als ein Ausweg.

Aber nicht allen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt vor der Einführung derartiger Urkunden: Es sei wissenschaftlich nach wie vor unklar, ob – und wenn ja, wie lange – Menschen nach einer Covid-19-Erkrankung immun gegen eine weitere Infektion mit dem Erreger sind.

Büchse der Pandora

Und Bernhard Perchinig, Politikwissenschafter am International Center for Migration Policy Development (ICPDM) in Wien, betrachtet die Immunitätsausweispläne gar als eine Büchse der Pandora. Ein solches Dokument würde ein "perverses arbeitsmarktpolitisches Signal" setzen und den Jobmarkt – und damit die Gesellschaft – spalten, sagt er im Gespräch mit dem STANDARD.

Denn wer sich nach einer Coronavirus-Infektion wieder erholt hat und dann einen Immunitätsausweis besitzt, werde ganz offiziell ein geringeres Risiko des Ausfallens wegen längerer Erkrankung aufweisen. Er oder sie werde daher höhere Löhne verlangen können, und das werde anderen Jobsuchenden nicht verborgen bleiben, schreibt der Migrationsexperte in einer Kurzanalyse des ICPDM.

Mehr Corona-Partys

Unter jüngeren Arbeitnehmern könnten in der Folge "Corona-Partys um sich greifen, wo sich jüngere Menschen bewusst anzustecken versuchen, um ihre Jobchancen zu erhöhen". Das wiederum würde "Bemühungen unterminieren, die Virusverbreitung zu kontrollieren".

Und zwar nicht nur in einzelnen Ländern, sondern international: "Die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, welche hohen Risiken Menschen einzugehen bereit sind, um mit dem Versprechen eines besseren Lebens arme und instabile Regionen zu verlassen."

Ungeschützte Gesundheitsdaten

Hinzu komme, dass es im Gesundheitsbereich keine supranationalen Regularien gebe – und damit auch keine grenzüberschreitenden Überprüfungsmöglichkeiten der in Einzelstaaten geplanten Corona-Immunitätsausweise. Fehlverhalten und Korruption wäre Tür und Tor geöffnet.

Und auch den Schutz von Gesundheitsdaten durch Antidiskriminierungsbestimmungen sieht Perchinig durch Corona-Immunitätsausweise in Gefahr. Derzeit dürfen in der EU Arbeitgeber etwa von weiblichen Angestellten keinen Gentest verlangen, der Aufschluss über ihr Brustkrebsrisiko gibt. Derlei Strenge würde durch die angedachten Ausweise aufgeweicht.

Tracing, am besten mittels App

Stattdessen rät Perchinig zu intensivem Contact-Tracing von Covid-19-Fällen auf regionaler Ebene, am besten mittels App. So könne man auf dem Arbeitsmarkt auch in Corona-Zeiten eine "smarte Mobilität" ermöglichen. (Irene Brickner, 18.5.2020)