Premier Orbán musste sich viel Kritik gefallen lassen. Viele graue Haare dürften ihm seither aber nicht gewachsen sein.

Foto: Wiktor Dabkowski via www.imago-images.de

Die Ankündigung erfolgte fast beiläufig, quasi am Rande. Ungarns Premier Viktor Orbán traf sich vergangenen Freitag in Belgrad wieder einmal mit Serbiens Staatschef Aleksandar Vučić. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz erwähnte Orbán nebenbei, dass er damit rechne, die weitgehenden Vollmachten, die er sich jüngst vom Parlament hatte übertragen lassen, Ende Mai wieder abgeben zu können.

Das Ermächtigungsgesetz von Ende März ermöglicht es Orbán derzeit noch, auf dem Verordnungsweg zu regieren, um das Land durch die Corona-Krise zu steuern. Er ist dabei an keine bestehenden Gesetze gebunden. Und vor allem: Er bestimmt selbst, wann er den Zustand der Selbstermächtigung zu beenden gedenkt. Vor allem die zeitlich unbefristete Dauer dieser Vollmachten hatte im In- und Ausland massive Kritik ausgelöst. Europarat und Europaparlament verurteilten sie, die EU-Kommission forderte ihre Rücknahme, sobald auch die Pandemie im Rückgang sei.

Die Regierungspropaganda in Ungarn tat diese Kritik als den angeblichen Ausfluss der üblichen Wühlarbeit Ungarn-feindlicher "Agenten" aus dem Netzwerk des US-Finanzinvestors George Soros ab. In Belgrad bemühte sich Orbán noch eins draufzulegen: "Wir geben jedem die Chance, sich bei Ungarn für die unwahren Anschuldigungen zu entschuldigen", tönte er.

Permanenter Kampf

Was aber trieb den ungarischen Regierungschef tatsächlich an, sich unbefristete Vollmachten geben zu lassen, wenn er davon gerade einmal zwei Monate Gebrauch macht und dabei seinen internationalen Pariastatus bestätigt? Zum einen ist permanenter Kampf das Elixier, das der Populist Orbán zur Bespielung der heimischen Bühne braucht. Der Politologe Gábor Török verwies wiederum darauf, dass die Opposition bereit gewesen sei, befristete Vollmachten mitzutragen. So aber habe Orbán die Opposition gezwungen, ein Dringlichkeitsverfahren im Parlament abzublocken. Der alte Politfuchs habe seine Gegner damit ins Eck vaterlandsloser Saboteure des Kampfs gegen die Pandemie gestellt.

Andere Beobachter wie STANDARD-Kolumnist Paul Lendvai erblicken im Notstandsgesetz eine Art "Sicherheitsventil" für Orbán. Im März konnte noch niemand absehen, wie sich die Krise entwickelt. Das Gesetz ermöglicht über mehrere Hintertüren die Ausschaltung des Parlaments. Im Falle einer gigantischen Staats- und Wirtschaftskrise, in der die von Karrieristen getragene Regierungspartei Fidesz hätte zerbrechen können, hätte sich Orbán effektiv zum Diktator aufschwingen können.

Mit über 120 Dekreten hat er aber schon jetzt viele Weichen gestellt. Er hat den Datenschutz, Informationspflichten der Ämter und das Arbeitsrecht ausgehebelt und den Kommunen, die er bei den Lokalwahlen im Vorjahr an die Opposition verloren hatte, viel Geld und Gestaltungsmöglichkeiten weggenommen. Nach der Abgabe der Sondervollmachten wird er derlei wieder mit der Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei im Parlament bewerkstelligen müssen. (Gregor Mayer aus Budapest, 18.5.2020)