Viktor Orbán gibt sich großzügig wie ein Märchenkaiser.

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Mit der beispiellosen Selbstermächtigung unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung hat sich Ungarns machtbewusster Premier Viktor Orbán viel Kritik eingehandelt. Er hat sie abgeschüttelt wie der Pudel einen Guss kalten Wassers. Die EU-Kommission, Wächterin über die europäischen Verträge, führte er gar vor: Im Text des Ermächtigungsgesetzes vermochte man in Brüssel nichts zu finden, was Anlass zu einem Verfahren gegen Ungarn gegeben hätte. Halbherzig hob man den warnenden Zeigefinger. "Brüssel behindert uns, wo es kann", reagierte Orbán, "während wir gegen Corona kämpfen."

Großzügig wie ein Märchenkaiser will er nun seine Vollmachten Ende Mai, nach nur zwei Monaten, wieder ab geben. Das Regieren auf dem Verordnungsweg ist für ihn gewiss bequem. Dekrete, die oppositionelle Kommunen enteignen oder Arbeitnehmerrechte abschaffen, erscheinen geräuschlos über Nacht im ungarischen Amtsblatt.

Doch seit zehn Jahren herrscht Orbán – abgesehen von einer kürzeren Unterbrechung – mit der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit seiner Fidesz-Partei. Nicht auf dem Verordnungsweg, sondern mit Parlamentsabstimmungen hat er die Demokratie in Ungarn demoliert, die Wissenschafts- und Medienfreiheit eingeschränkt, eine nepotistische Kleptokratie errichtet. Orbán nimmt sich Ermäch tigungen und streift sie wieder ab. Für ihn sind es nur Rochaden in einem flexiblen Machtspiel. (Gregor Mayer, 17.5.2020)