Seit annähernd sechs Monaten grassiert das hochansteckende Sars-CoV-2-Virus rund um den Globus. Obwohl bis heute kein tatsächlicher Patient null identifiziert werden konnte, gehen Fachleute davon aus, dass die Pandemie womöglich schon zwischen Mitte und Ende November 2019 auf dem "Wuhan Huanan Großhandelsmarkt für Fische und Meeresfrüchte" ihren Ausgang genommen hat. Der Ursprung des Virus wird in Fledermäusen vermutet. Über einen oder mehrere tierische Zwischenwirte soll der mutierte Erreger auf dem sogenannten "Wet Market" schließlich erstmals auf den Menschen übergesprungen sein.

Auf einem Markt in Wuhan soll das Sars-CoV-2-Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen sein. Eine aktuelle Studie zeigt, dass der Erreger dort auch von einem Menschen verbreitet worden sein könnte.
Foto: ALEX PLAVEVSKI

Eine andere These besagt, dass ein ursprünglich von einem tierischen Wirt stammendes, zunächst nicht pathogenes Virus erst im Menschen zu einem gefährlichen Krankheitserreger mutierte. Eine aktuelle Studie untermauert nun dieses Szenario über den Beginn der Covid-19-Pandemie.

Gut an menschlichen Organismus angepasst

Die neue Arbeit, die noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat und im Preprint auf der Website bioRxiv des Cold Spring Harbor Laboratory veröffentlicht wurde, kommt nach einem genetischen Vergleich zwischen Sars-CoV-2 und dem früheren Sars-Erreger Sars-CoV zu dem Schluss, dass das neuartige Coronavirus "sehr gut auf den menschlichen Organismus abgestimmt" sei: "Wir waren überrascht, wie sehr Sars-CoV-2 dem Sars-CoV-Erreger aus der späten Phase der Epidemie von 2003 ähnelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Sars-CoV mehrere Anpassungen für die Übertragung durch den Menschen durchlaufen."

"Unsere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Sars-CoV-2 zum Zeitpunkt des ersten Nachweises Ende 2019 bereits in einem ähnlichen Ausmaß wie das frühere Sars-CoV für die Übertragung durch den Menschen geeignet war. Irgend welche Vorläufer oder Virus-Entwicklungslinien, die weniger gut an den Menschen angepasst sind, konnten dagegen nicht nachgewiesen werden", schreiben die Autoren rund um Yujia Alina Chan (Broad Institute of MIT and Harvard) und Shing Hei Zhan (University of British Columbia). Insgesamt deuten die genetischen Untersuchungen daher viel eher darauf hin, dass der Coronavirus nicht von einem Tier sondern von einem Menschen auf dem Huanan-Markt in Wuhan verbreitet worden ist.

Im Labor zum Menschenvirus mutiert?

Die Wissenschafter betonen weiters, dass es keine eindeutigen Hinweise auf den genauen Ursprung des Virus gäbe und es, basierend auf dem Erbgut des Virus, immer noch unklar sei, ob Sars-CoV-2 in einem zwischengeschalteten tierischen Wirt, einem Menschen oder womöglich sogar in einem Labor zu dem wurde, was er heute ist. "Selbst die Möglichkeit, dass sich ein nicht gentechnisch veränderter Vorläufer während der Untersuchung in einem Labor an den Menschen angepasst haben könnte, sollte in Betracht gezogen werden, unabhängig davon, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich dies ist", meinen die Forscher.

Skeptische Kollegen

Fachkollegen beurteilen die Arbeit freilich eher skeptisch. So schrieb etwa Jonathan Eisen von der University of California in Davis, auf Twitter: "Ich finde die Schlussfolgerungen aus mehreren Gründen nicht überzeugend: 1) Die Forscher haben nicht gezeigt, wie ihre Methoden zur Erkennung dieser Muster funktionieren. 2) Man hat den Virus nur mit CoV vergleichen. 3) Alternative Hypothesen wurden nicht genügend überprüft. 4) Es ergeben sich keine stichhaltigen Beweise, dass Sars-CoV-2 von Anfang an an den Menschen angepasst war." Der Preprint enthalte zwar einige interessante Ansätze, aber Eisen sei nicht wirklich davon überzeugt, dass die von den Wissenschaftern gezogenen Schlüsse tatsächlich zulässig seien. (tberg, 19.5.2020)