Nun steht sie da, die EU, vor ihrem riesigen Scherbenhaufen. Nach dem Shutdown und den unterschiedlichsten Lockerungen auf dem Kontinent will weder die Wirtschaft in Fahrt kommen noch die Furcht vor Corona weichen. Das hat auch einen triftigen Grund. Von allen Seiten wird die Angst vor einer zweiten Welle geschürt, die da am Horizont heraufziehen soll. Das lässt sich gut am Tourismus festmachen, bei dem die Virusfolgen durch nationale Akzente noch verstärkt werden.

Der Fremdenverkehr leidet bekanntlich besonders stark unter Corona. Längst stehen Flugzeuge auf dem Boden, Reisebüros am Abgrund und Hotels im Regen. Ganze Regionen verarmen ob der Abhängigkeit von den Gästen. Seit die Infektionszahlen zurückgehen, wird behutsam an einer Normalisierung gebastelt. Doch was sich da – insbesondere in Österreich – abzeichnet, macht stutzig.

Kontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich.
Foto: APA/DPA/PETER KNEFFEL

Die deutschen Urlauber – bekanntermaßen die für die bedrohten Touristiker wichtigste Gästegruppe – nehmen wir gern. Plötzlich scheint das Klischee des meckernden Piefke verschwunden, der andere Gäste und Einheimische nervt und angesichts mitgebrachter Vorräte für mäßiges Geschäft sorgt. Tschechen und Schweizer dürfen auch noch herein, ein bisschen könnten sie die Not der Beherbergungsbetriebe ja doch lindern. Doch die Österreicher in die Ferne schweifen lassen? Da steigt die Regierung gehörig auf die Bremse.

Beschränkung der Reisefreiheit

Bei Italien rümpft man in Wien die Nase. Auch wenn die Gefahr einer Infektion beim südlichen Nachbarn größer sein sollte als hierzulande: Ein menschenwürdiges Leben ohne Risiko gibt es nicht. Richtig unglaubwürdig werden Restriktionen im Reiseverkehr, wenn man sich Destinationen wie Griechenland vor Augen führt, die deutlich weniger Erkrankungen verzeichnen als Österreich. Die epidemiologische Argumentation wird damit ad absurdum geführt.

Da merkt man schon, woher der Wind weht: Die Beschränkung der Reisefreiheit dient vor allem dazu, die Österreicher einzusperren, um gefälligst in der Heimat zu urlauben. Das geht nicht nur Verfechtern der Freiheitsrechte gegen den Strich, sondern widerspricht auch der ökonomischen Vernunft. Der aufkeimende Protektionismus im Fremdenverkehr wird nämlich jene südlichen Euroländer am stärksten treffen, deren Staatsfinanzen schon vor Corona mehr (Griechenland) oder weniger (Spanien) im Argen lagen. Die Grenzschließung von heute ist der Schuldennachlass von morgen. Im schlimmsten Fall kommt es zu Staatsinsolvenzen und zum Wiederaufflammen der Eurokrise.

Aber ist es nicht so, dass sich Tourismushochburgen tatsächlich zu Virenschleudern entwickeln können? Ausgeschlossen ist das nicht, ebenso wie es auch immer wieder zu Covid-Clustern in Schlachthöfen, Logistikzentren oder Asylheimen kommen kann. Von größerer Bedeutung ist, ob wir trotz der ernst zu nehmenden Bedrohung mit dem Virus zu leben lernen und imstande sind, uns durch Eigenverantwortung und Vorsicht statt durch Verbote zu schützen.

Wenn die Gesellschaft weiter wegen Corona in Panik verfällt, werden Job- und Einkommensverluste, seelisches Leid und der Zulauf zum rechten Rand beschleunigt. Mit einem Fleckerlteppich aus geschlossenen und offenen Grenzen kann weder ein Comeback der Wirtschaft noch der EU gelingen. Der Tourismus könnte für beide entscheidend sein. (Andreas Schnauder, 18.5.2020)