Die Diskussion in den letzten Tagen sei zwar ein "wenig aufgeregt" verlaufen, gestand Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bei einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag ein. Bei seinen aktuellen Appellen an die Stadt Wien handle es sich aber um keinen Vorwahlkampf. Vielmehr sei es so, dass er überhaupt kein Bedürfnis nach Wahlkampf habe, dieses sei bereits in seiner Zeit als ÖVP-Generalsekretär "absolut gestillt" worden.
Dennoch richtete sich der Innenminister erneut explizit an die Bundeshauptstadt: Die Tatsache, dass 60 Prozent aller Neuinfektionen seit Mai aus Wien kommen, sei besorgniserregend. Man müsse einen "Wellenbrecher" in Wien errichten. Deshalb stelle er erneut ein "Hilfsangebot" an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) – einerseits was die Unterstützung des Contact-Tracings durch Polizeibeamte betrifft, andererseits was die Kontrolle von Quarantänemaßnahmen durch die Exekutive angeht. Beides werde von Wien derzeit nicht in Anspruch genommen.
Die Stadt Wien verteidigte den "scheinbar sprunghaften Anstieg" der Zahlen am Vortag damit, dass nun eben mehr und gezielter getestet werde, etwa in Flüchtlingsunterkünften und Obdachlosenheimen. Während Nehammer die Kommunikation mit Wien kritisierte, gab es vonseiten der grünen Regierungshälfte explizites Lob.
Werbetrommel für Polizei
Nicht nur Wien, auch Niederösterreich verkündete etwa schon vor Wochen, keine Unterstützung bei der Befragung von Erkrankten – also dem Contact-Tracing – zu benötigen. Nehammer rührte trotzdem einmal mehr die Werbetrommel dafür: 2.800-mal seien Polizeiexperten für diesen Zweck bereits eingesetzt worden, man mache damit "gute Erfahrungen". Die Polizei wird dabei nur im Auftrag der Gesundheitsbehörden tätig und übermittelt die Daten an diese.
Die Exekutive unterstütze aber nicht nur bei der Nachverfolgung von Infektionsketten, sondern auch dabei, Quarantänemaßnahmen zu kontrollieren, betonte Nehammer und verwies auf eine Österreichkarte, auf der Wien als weißer Fleck dargestellt wurde. Lediglich in der Bundeshauptstadt sei das Angebot, die Gesundheitsbehörden bei der Kontrolle von Quarantänemaßnahmen zu unterstützen, nicht angenommen worden. Bundesweit sei das in 39.000 Fällen passiert.
Erneut stellte Nehammer in den Raum, dass dem Innenministerium Informationen vorliegen würden, dass ein Leiharbeiter eines der derzeit medial im Fokus stehenden Postverteilerzentren seine Quarantäne in Wien verlassen habe, um wieder in die Arbeit zu gehen. In der "Zeit im Bild 2" am Montagabend wurde Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ebenfalls mit diesem Vorwurf, der bereits vor Tagen medial kolportiert wurde, konfrontiert. Laut Hacker, der sich auch auf eine Klarstellung der Polizei bezieht, entspricht das nicht den Tatsachen: "Das Büro des Innenministers streut hier bewusst ein falsches Gerücht. Wir sind hier offenbar im Vorwahlkampf der ÖVP, die ihren Wahlkampf auf Wien-Bashing aufbaut."
Leichter Anstieg bei häuslicher Gewalt
Prinzipiell halte sich die Bevölkerung "hervorragend" an die verhängten Maßnahmen, so Nehammer. Insgesamt gab es 32.000 Anzeigen wegen Verstößen gegen die Covid-Verordnungen. Nehammer setzte das in Relation zu sechs Millionen Anzeigen wegen Verkehrsübertretungen, die 2019 verzeichnet wurden.
Insgesamt hat sich die Gesamtkriminalität seit dem Lockdown um 46,4 Prozent im Vergleich zum selben Zeitraum des Vorjahrs verringert, wie Bundeskriminalamtschef Gerhard Lang bekanntgab. Rückgänge gab es vor allem bei Vermögens- und Diebstahlsdelikten, zum Teil fast um die Hälfte. Gleichzeitig mahnte Lang aber zur Vorsicht bei direkten Vergleichen der Anzeigenstatistiken: Man müsse immer die Covid-Beschränkungen mitdenken. Ein Anstieg um 27,4 Prozent wurde hingegen im Bereich der Internetkriminalität verzeichnet.
Bei der häuslichen Gewalt gab es einen leichten Anstieg: Durchschnittlich habe man von Jahresbeginn bis zum Lockdown täglich 30 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Diese Zahl hat sich seit 14. März auf 34 erhöht, sei seit der Lockerung aber wieder im Sinken. (Vanessa Gaigg, 19.5.2020)