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Es macht erst "Klick", wenn die neue Eroberung wie eine Blaupause über unsere innere Vorstellung von romantischer Liebe passt.

Foto: AP/ Markus Schreiber

Meine Trafikantin trägt das ganze Jahr über Lee-Cooper-Jeans und hautenge Lurex-Strickpullis. Auch wegen dieser Optik wurde ich Stammkundin. Nach tausend gekauften Zeitschriften, Fahr- und Parkscheinen weiß ich: Sie verliebt sich oft, aber bisher immer in den Falschen.

Die Gebieter ihres Herzens waren entweder zu verkrampft, zu alkoholsüchtig, zu unentschlossen oder zu verheiratet. Einige waren groß, andere klein. Wenn überhaupt, dann könnte man die Herren auf einen einzigen gemeinsamen Nenner bringen: Sie alle hätten in einem Poloshirt mit Klubsakko verdammt glaubwürdig ausgesehen.

"Unser Mathelehrer in der Unterstufe hat solche Sachen getragen. Im Grunde will ich genau da wieder hin", erklärt die Trafikantin ihren Traum von einem Mann. Experten auf dem Gebiet der emotionalen Verwicklungen nennen diese Fixierung auch: Phantasma.

Liebeswunder

Was ist dieses Phantasma? Jene notorische Fantasie, über die sich Aristoteles, Schopenhauer und Lacan den Kopf zerbrachen? Spielverderber sprechen von einem Hirngespinst und warnen: ein liebestechnischer Selbstbetrug, bei dem es weniger um das Gegenüber als um das Bild geht, in das der andere passt. Alle anderen ahnen: Es macht erst dann "klick", wenn die neue Eroberung wie eine Blaupause über unsere innere Vorstellung von romantischer Liebe passt.

Ich weiß von Männern, die – halb bewusst, halb unbewusst – in jeder neuen Frau ihre vollbusige Kindergartentante suchen. Oder den charismatischen Polizisten, den sie vom Rücksitz des elterlichen Wagens aus beobachteten. Andere klopfen jede neue Bekanntschaft nach der sommersprossigen Mitschülerin ab, die sie einst so schmerzhaft ignorierte. Ein beliebtes Genre ist auch die Deutschlehrerin mit ihrem im Gegenlicht durchscheinenden Rock.

Projektionen

Und dann gibt es natürlich auch noch das weite Projektionsfeld der Kinderfilme: Tommy und Annika aus Pippi Langstrumpf sind beliebte Schablonen, genauso wie Schneewittchen, Pocahontas, Jonny Depp in Fluch der Karibik oder die süßen Schwedenburschen und -mädchen aus Bullerbü.

Ein komplizierter Klassiker auf dem Gebiet der Projektion: der junge Vater oder die junge Mutter. Unverlässlichkeit, Übergriffigkeit und Ablehnung, all das würde man jetzt gerne noch einmal durchspielen – in der Hoffnung auf ein Happy End.

Ja, eine kleine Liebe mag auf dem Boden von Vertrauen und Realitätssinn gedeihen. Die große, leidenschaftliche Liebe hingegen, die kommt nicht ohne den künstlichen Lichtstrahl unserer Fantasie aus. Meine Trafikantin übrigens, die hat ihr Schicksal vergangene Woche selbst in die Hand genommen: Sie suchte sich einen neuen Steuerberater. Ihre Wahl fiel auf einen, der die Kombi Polohemd und Klubsakko praktischerweise schon auf dem Foto seiner Website trägt. (Ela Angerer, RONDO, 2.6.2020)