Kunststoffene Gäste als Preis der Freiheit: Virenschranken stehen jetzt auch im Josefstädter Fuhrmann zwischen den Tischen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Karten-App von Apple hat, wieder einmal, keinen Tau. Das Fuhrmann als "Beergarden" zu definieren ist in etwa so akkurat, wie das Schweizerhaus als intimes Nobelrestaurant anzupreisen. Wie bei jedem dreisten Blödsinn ist auch da nicht alles ganz falsch: Das Fuhrmann hat einen der charmantesten Hofgärten der Stadt, mit alten Kastanien, Sonnensegel, entzückendem Salettl. Und Hermann Botolen serviert hier auch diverses Craftbeer.

Aber gut, Touristen sind derweil eh keine in der Stadt, die waren auch nie Botolens Zielgruppe. Der Mann ist ein Besessener des Weins, der wirklich großen und längst unerschwinglichen Gewächse ebenso wie jener fantastischen, niemals wuchtigen Herrlichkeiten, die in lange unterschätzten Terroirs im Jura, dem Saumur, dem Mittelburgenland, selbst auf den Kanarischen Inseln wurzeln.

Wer einmal gemerkt hat, wie viel Charakter, Zartheit, Glück und unendlich fein gewobene Nuancen ein echt gutes Glas Wein über seinen Genießer auszuschütten bereit ist, der will dieses gottgleiche Gefühl immer wieder haben. Solche Leute kommen zu Botolen.

Natürlich hat der Mann die mythischen Namen in mannigfaltiger Inkarnation vorrätig, allerhand Meursaults von Coche-Dury (um kaum 500 eine Mezzie neben der anderen) ebenso wie Chablis von Raveneau, Bâtard-Montrachets von Ramonet, da geht es nur so dahin, und genau so auch durch die großen Gewächse von Rhein, Mosel, Donau undsoweiterundsofort.

Das Schöne am Wahnsinn offenbart sich wie immer im Detail, beim Sprudel zum Beispiel, wo Pet Nats aus Savoyen neben den grandiosen Cidres von Eric Bordelet stehen, wo ein Crémant de Bourgogne von Bruno Clavelier aus der Vosne Romanée die Gesellschaft des rabiat köstlichen Natursprudels vom Herrenhof Lamprecht sucht. Roland Velichs Morice sind in beglückender Vielfalt und Jahrgangstiefe da, natürlich auch die besten Vertreter der Wachau (Muthenthaler! Veyder-Malberg! Huchenfischer!).

Und in diese Höhle der Herrlichkeit hat Botolen jetzt Walter Leidenfrost gelotst, der immer noch als junges Talent gilt, obwohl er schon vor Jahren "Falstaff"-Rookie und gleich danach Trophée-Gourmet-Gewinner war.

Ganz kurz: Der Mann hat einst im Arlt, dann im Ludwig van, zuletzt in der Schneiderei Wimpassing für köstlich unmittelbare, wunderbar ausbalancierte, aber völlig skrupellos im Endorphinzentrum explodierende Geschmackstorpedos gesorgt. Bei Botolen macht er das ganz genauso, aber halt auf freundlich lächelnde, die biedere Aura der Hütte scheinbar willkommen heißende – und besonders hinterfotzige Art.

Eier, nicht eiern

Abenteuerlich zarte Zucchiniblüten mit Quinoa-Ziegenfrischkäsfüllung und weißem Paradeissud.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Klare Fischsuppe mit nichts als rohen Fenchel- und Zucchinischnipseln wirkt trügerisch simpel, dabei braucht die dichte, pure Essenz exakt diese knackigen, frischen Kontrapunkte – wozu großkochmäßig herumeiern, wenn die Antwort, wie so oft, mit taufrischem Gemüse zu geben ist.

Oder das Amuse aus gesottener Lammzunge mit knackig saurer Puntarelle und Gärtnerei-Bach-Brunnenkresse: Wie die berauschende Wucht der Innerei mit frischer, belebender Säure und himmeljauchzend scharfem Kräutel konterkariert wird, das würde man noch so gern als Gericht (und nicht als bloßen Happen) erleben dürfen.

Es geht dahin, von Brennesselravioli mit langen Bergkäsestreifen über ein grandios suppiges Morchelrisotto, von abenteuerlich zarten Zucchiniblüten mit Quinoa-Ziegenfrischkäsfüllung und weißem Paradeissud (siehe Bild) bis zu eingemachtem Kaninchen mit smaragdenen Erbsenkristallen, Spargel und Morcheln: So ähnlich durfte man ganz früher einmal im Eckel speisen. Jetzt schießt der "wüde Woidl" Leidenfrost diese Sachen aus der Fuhrmann-Küche – und Botolen weiß genau, welche Gemeinheiten er dazu ins Glas gießt. (Severin Corti, RONDO, 22.5.2020)

Google-Map: Aktuelle Restaurantkritiken in Wien

Lokale in Österreich: Severin Cortis Restaurantkritiken gesammelt