Der deutsch-französische Vorstoß zur Schaffung eines EU-Wiederaufbaufonds zur Überwindung der Corona-Krise wird ein Meilenstein der Integration. Daran besteht schon heute kein Zweifel, selbst wenn viele Details noch ungeklärt sind. Denn dieser Plan stößt die Tür zu etwas Neuem auf, was in der von nationalen Budgetbeiträgen abhängigen EU-Politik bisher undenkbar war. Die Kommission soll sich in großem Umfang verschulden dürfen. Sie soll einen Kredit in Höhe von 500 Milliarden Euro aufnehmen dürfen, um EU-Hilfsprogramme zu finanzieren.

Die Mitgliedsstaaten würden nicht direkt einzahlen wie etwa beim Eurohilfsfonds ESM vor zehn Jahren. Sie geben "nur" Garantien, was ihre Budgets nicht belastet. Die Finanzierung könnte langfristig über höhere EU-Eigenmittel laufen: Plastik-, Digital- und Klimasteuern, die direkt in die Brüsseler Kasse fließen. Ein raffinierter Umweg.

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Das EU-Parlament in Brüssel.
Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Gemeinsame Verschuldung galt und gilt als ein Tabu, vor allem in Deutschland. Die EU-Kommission arbeitete seit Wochen fieberhaft an einem Konzept. Nächste Woche wollte Präsidentin Ursula von der Leyen diesen Wiederaufbauplan, der eng mit dem langfristigen EU-Budgetrahmen bis 2027 verknüpft wird, präsentieren. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron fuhren ihr in die Parade, reklamieren das für sich, haben gezeigt, wer das Sagen hat, wenn es drauf ankommt.

So ist das eben: Ohne Berlin und Paris geht nichts, gegen die deutsch-französische Achse schon gar nicht. Nun darf der Streit unter den übrigen Mitgliedsländern über den Paradigmenwechsel losgehen, ob man die Wiederaufbaumittel an bedürftige Länder und Wirtschaftssektoren in Form von – rückzahlbaren – Krediten oder Zuschüssen verteilt. Die "sparsamen vier EU-Staaten", darunter Österreich, stehen auf der Bremse, Italien und Spanien mobilisieren für Gratisgeld. Man wird einen Kompromiss finden müssen. (Thomas Mayer, 19.5.2020)