Nicht mehr so stark als Lichtgestalt wahrgenommen: Kanzler Sebastian Kurz.

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Linz – Nach und nach kehrt eine gewisse Normalität ins Leben der Bevölkerung zurück – und damit auch politische Haltungen, die sich der Normalität annähern. "Das sind gute Nachrichten für die Regierung an sich – und nicht ganz so gute für Bundeskanzler Sebastian Kurz persönlich. Die Leute sind bereit, mehr Geld auszugeben, und sie streben nach Wiederbelebung der Wirtschaft. Aber gleichzeitig sind sie nicht mehr bereit, bedingungslos Kurz als Lichtgestalt zu sehen", sagt Market-Wahlforscher David Pfarrhofer.

Jeder Dritte würde Kurz direkt wählen

Sein Institut hat in dieser Woche (wie in jeder seit Beginn der Corona-Krise) 1.000 Wahlberechtigte sowohl zu ihren wirtschaftlichen als auch zu ihren politischen Einschätzungen befragt und dabei eine Abkühlung der Sympathien für den Bundeskanzler festgestellt. Pfarrhofer: "Als im April die Situation allgemein als besonders bedrohlich eingeschätzt wurde, hat etwa jeder Zweite gesagt, dass er oder sie Kurz direkt zum Kanzler wählen würde, wenn das möglich wäre. Jetzt sagt das nur noch etwas mehr als jeder Dritte."

In Zahlen: 33 Prozent sagen diese Woche, dass bei einer Direktwahl ihre Stimme an Kurz gehen würde – in den ersten Maiwochen hatte dieser Wert zwischen 40 und 44 Prozent geschwankt. Als generellen Stimmungsumschwung will Pfarrhofer diesen Rückgang aber nicht interpretiert sehen: Den Politikern an den Spitzen der anderen Parteien ist der markante Rückgang beim Amtsinhaber nämlich nicht zugutegekommen. Vielmehr sagen 35 Prozent, dass sie nicht wüssten, wen sie wählen sollten, oder dass sie nicht einmal dann einen Kanzler wählen würden, wenn das in Österreich möglich wäre. Viele bleiben auch bei der Nachfrage dabei – in der sogenannten Kanzlerfrage 2 ("Und wer käme am ehesten infrage?") gewinnt Kurz nur unwesentlich dazu, seinen Mitbewerbern geht es ähnlich.

Damit zeigt sich folgendes Bild der politischen Landschaft:

  • Die Kanzlerpartei ÖVP bleibt mit weitem Abstand vorne, sie könnte bei einer Wahl jetzt mit 43 Prozent rechnen – das ist ein Prozentpunkt weniger als in den vergangenen Wochen, aber insgesamt sehr stabil. Auch die 33 Prozent von Kurz stellen einen Vorsprung von 23 Prozentpunkten vor Pamela Rendi-Wagner von der SPÖ dar. Und: 43 Prozent in der Hochrechnung bedeuten einen deutlichen Zugewinn gegenüber dem am 29. September 2019 erzielten Wahlergebnis.
  • Auch die SPÖ hat sich nach ihrer Mitgliederbefragung wieder stabilisiert: Wie schon in der Vorwoche kommen die Sozialdemokraten auf 21 Prozent Damit ist der Durchhänger vom ersten Quartal überwunden – die SPÖ ist wieder so stark wie bei der Nationalratswahl, der zweite Platz ist statistisch abgesichert, und auch Parteichefin Rendi-Wagner ist mit zehn Prozent in der Kanzlerfrage 1 ("Welche der folgenden Personen würden Sie für das Amt des Bundeskanzlers wählen, wenn man diesen direkt wählen könnte?") auf dem zweiten Platz.
  • Platz drei geht an die Grünen mit 17 Prozent – unverändert gegenüber der Hochrechnung der Vorwoche, aber rund drei Prozentpunkte mehr als bei der Wahl. Vizekanzler Werner Kogler kommt in der Kanzlerfrage 1 auf sechs Prozent.
  • Für alle anderen Parteien bedeutet das rechnerisch Verluste: Die FPÖ hat hochgerechnet zwölf Prozent (vier Prozentpunkte weniger als bei der Wahl), die Neos kommen auf sechs (bei der Wahl waren es 8,1), und allfällige weitere Gruppen kämen auf ein Prozent – bei der Wahl waren 3,3 Prozent auf Kleinstparteien wie Jetzt, KPÖ und Wandel entfallen.

Die Market-Daten unterstreichen, dass in großen Teilen der Bevölkerung ein gewisser Drang zur Normalität besteht. Das komme auch beim Blick auf die Einschätzung der seitens der Bundesregierung gesetzten Maßnahmen klar zum Ausdruck, argumentiert das Institut. Zwar sind immer noch für zwei Drittel der Befragten die Maßnahmen betreffend das Coronavirus gerechtfertigt. Aber drei von zehn Wahlberechtigten schätzen die Maßnahmen als übertrieben ein, während sich nur fünf Prozent weitreichendere als die bisher gesetzten Maßnahmen wünschen.

Market fragte weiter: "Nach den Einschränkungen der letzten Wochen wird die Wirtschaft ja nun schrittweise wieder hochgefahren. Soll die Wirtschaft Ihrer Meinung nach schneller bzw. langsamer hochgefahren werden, oder sind Sie mit der aktuellen Vorgehensweise einverstanden?"

  • Eine relative Mehrheit von 46 Prozent ist mit der Vorgehensweise zufrieden, wobei sich starke Unterschiede in den Parteianhängerschaften zeigen: Wähler der ÖVP und der Grünen unterstützen zu mehr als 50 Prozent den Regierungskurs.
  • 32 Prozent wünschen sich ein schnelleres Hochfahren – darunter ein besonders hoher Anteil von FPÖ-Wählern, von denen gut die Hälfte eine Aufhebung der Einschränkungen befürwortet. Tendenziell sind aber auch SPÖ- und Neos-Anhänger Befürworter einer rascheren Wirtschaftsbelebung.
  • 23 Prozent sind für eine langsamere Öffnung. Hier fällt auf, dass besonders die jüngeren Befragten für ein vorsichtiges Vorgehen sind, während ältere Befragte mehrheitlich das von der Regierung vorgegebene Tempo für richtig halten.

Immer weniger nehmen Bedrohung wahr

Was die Daten ebenfalls zeigen: Die gesundheitliche Bedrohungswahrnehmung durch das Coronavirus bleibt auf dem niedrigen Ausgangsniveau von Ende Februar – nur fünf Prozent stufen die Bedrohung für sich und ihren Haushalt als "sehr hoch" ein. Ende März lag dieser Wert bei 23 Prozent.

Ende April ist die gesundheitliche Sorge bereits deutlich zurückgegangen, dafür sagten zur Monatswende April/Mai 22 Prozent, dass sie für sich und ihren Haushalt eine "sehr hohe" wirtschaftliche Bedrohung befürchten. Auch die wirtschaftliche Bedrohung wird aktuell etwas geringer eingeschätzt als in den letzten Wochen: Nur noch für jeden Zehnten ist die Bedrohung "sehr hoch". (Conrad Seidl, 22.5.2020)