Comeback einer Volksschule in Brunn am Gebirge in Niederösterreich: Der zweimonatige Unterricht daheim hatte nach Einschätzung der Lehrer viele Schattenseiten.

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Seit Wochenbeginn wird wieder im Kollektiv gebüffelt: Nach zwei Monaten Lockdown haben die Schulen, wenn auch unter mannigfaltigen Sicherheitsvorkehrungen, die Pforten geöffnet. Wird sich die pandemiebedingte Pause bloß als kuriose, aber langfristig unbedeutende Episode in den Schülerleben niederschlagen? Oder hat das zwangsläufige Homeschooling – wie von Skeptikern vielfach befürchtet – dazu geführt, dass ohnehin schon benachteiligte Schüler weiter abgehängt wurden?

Das Institut für höhere Studien (IHS) hat bei jenen nachgefragt, die es am besten wissen müssten: Für eine neue Studie haben bis dato 5.000 Lehrerinnen und Lehrer Antworten zu Fluch und Segen des Unterrichts daheim geliefert. Die Online-Erhebung ist noch im Laufen, die Forscher freuen sich über jeden zusätzlichen Teilnehmer. Dem STANDARD liegen aber schon jetzt erste Ergebnisse vor, die auf 2.500 Antworten basieren. Beruhigend seien die Erkenntnisse daraus nicht gerade, sagt Studienleiter Mario Steiner: "Es steht ziemlich viel auf dem Spiel."

  • Abgehängte Schüler: Im Schnitt waren laut Auskunft der Lehrer zwölf Prozent aller Schülerinnen und Schüler während der Schulschließung schwer oder gar nicht für sie erreichbar. Geht es aber um jene Kinder, die sie etwa wegen Sprachproblemen oder eines sozial schwachen Elternhauses schon vor der Corona-Krise als benachteiligt einstuften, dann liegt die Quote der kaum Erreichbaren mit 36 Prozent gleich dreimal so hoch. "Das ist ein enormer Anteil", findet Steiner.
  • Überforderung: Zwei Drittel ihrer Schützlinge waren nach Einschätzung der Lehrer vom Homeschooling stark belastet oder überfordert. Ein Drittel hatte mit Schwierigkeiten wegen der Rahmenbedingungen zu kämpfen. Sei es, weil ein tauglicher Computer und schnelles Internet fehlten, weil die Wohnverhältnisse beengt waren oder weil die Eltern zu wenig Unterstützung bieten konnten.
  • Leistungsabfall: Ob das Homeschooling negative Auswirkungen auf das Kompetenzniveau der Schüler hatte? 40 Prozent der Lehrer beantworten die Frage mit Ja. Auch hier gilt allerdings: Geht es speziell um die bereits benachteiligten Kinder, dann schnellt der Prozentsatz in die Höhe. In diesem Fall stimmen 76 Prozent zu, dass sich ein Leistungsabfall eingestellt hat.
  • Spaltung: Logische Konsequenz: 80 Prozent der Pädagogen kommen zu dem Schluss, dass die Kluft zwischen den bevorzugten und den benachteiligten Schülern während des Shutdowns weiter gewachsen ist.
  • Überraschung: Steiner verschweigt nicht, dass es auch ermutigende Einschätzungen gab. 31 Prozent der Schüler haben ihre Lehrer im Homeschooling positiv überrascht, weil sie die Erwartungen übertroffen haben.

Unterm Strich aber hält der IHS-Experte die ersten Ergebnisse für alarmierend genug, dass die Politik nicht einfach nur mit Lippenbekenntnissen reagieren dürfe. Ob zwei Monate Ausfall des regulären Unterrichts tatsächlich dramatische Folgen auslösen können? Steiner gibt zu bedenken, dass nun ja die Sommerferien vor der Tür stehen – und auch in diesen neun Wochen gehe die Schere zwischen den bevorzugten und den benachteiligten Schülern Jahr für Jahr auseinander.

Schließt danach womöglich ein neuer Lockdown wegen der vielgefürchteten zweiten Infektionswelle an, drohten der aktuellen Schülergeneration tatsächlich bleibende Nachteile. Steiner befürchtet eine wachsende Zahl von Schulabbrechern, mit noch mehr arbeitslosen Jugendlichen als spätere Folge. "Die Politik muss sich dessen ernsthaft annehmen", sagt er, "ich vermisse bis jetzt das nötige Bewusstsein für die Lage".

IHS-Experte Mario Steiner warnt vor mehr Schulabbrechern und jugendlichen Arbeitslosen: "Es steht viel auf dem Spiel."
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Die Regierung dürfe ihre Krisenhilfen nicht nur auf die Wirtschaft beschränken, moniert der Wissenschafter, es brauche genauso ein Bildungspaket. Was darin verpackt sein sollte, lässt sich ebenfalls aus der IHS-Befragung, die vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) gefördert wird, herauslesen. Ob es um Schulpsychologen, Sozialarbeiter oder um Lernunterstützung inner- und außerhalb der Schulen geht: Durch die Bank beklagen 70 bis 80 Prozent der Lehrer, dass sie nicht ausreichend unterstützt werden.

Glaubt man den Pädagogen, dann hat dieser Umstand in der Corona-Krise auch für sie selbst zu höherer Belastung geführt: 70 Prozent geben an, während der Homeschooling-Phase mehr Stunden gearbeitet zu haben als in den Zeiten des normalen Schulbetriebs. (Gerald John, 22.5.2020)